Thema des Tages

09-05-2021 09:50

Gewitterpotentialvorhersage

Was eine Gewittervorhersage kann und wie sie zustande kommt wird
heute im Thema des Tages erläutert.

Der eine oder andere mag sich verwundert die Augen reiben: Gestern
(Samstagfrüh) noch Nachtfrost, heute (Sonntag) bereits die ersten
Hitzetage im Südwesten des Landes. Der Sommer kommt quasi über Nacht.
Allerdings ist das Hochsommerintermezzo vor allem im Westen nur von
kurzer Dauer und das Thema (Schwer)gewitter rückt allmählich in den
Fokus. Zeit also einen kurzen Blick darauf zu werfen, wie man
Gewitter überhaupt vorhersagt.

Schonmal vorab: Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist niemand in der
Lage im Vorfeld genau zu sagen, ob an einem bestimmten Ort Gewitter
auftreten oder nicht, von Glückstreffern mal abgesehen. Zwar bietet
das Wettermodell eine scheinbar exakte Prognose der Gewitter an,
schaut man sich aber ein anderes Modell an, so liegen die
prognostizierten Gewitter in aller Regel an einem anderen Ort.
Was machen wir Meteorologen dann überhaupt? Wir können die Regionen
bestimmen, wo es eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Gewitter gibt
und Aussagen darüber treffen, mit welchen Begleiterscheinungen Sie im
Falle des Auftretens rechnen müssen (Hagelgröße, Niederschlagsmenge,
Windstärke). Kurzum: Es geht um eine Potentialabschätzung, während
konkrete Gewitterwarnungen erst kurz vor dem Ereignis herausgegeben
werden können.
Falls jemand immer noch nicht verstehen kann, warum wir trotz
Superrechnern noch nicht am Vortag eine detaillierte Aussage treffen
können, den bitte ich ein Topf Wasser zum Kochen zu bringen und
vorherzusagen, wo die erste Luftblase aufsteigen wird. Sie wissen
zwar, dass das Wasser zu kochen beginnt und Luftbläschen aufsteigen,
Sie wissen aber nicht wo diese genau zu sehen sein werden.

Der Kochtopf ist in diesem Zusammenhang ein guter bildlicher
Vergleich. Genau darum geht es nämlich: Wie kocht sich die Atmosphäre
ein Gewitter? Dafür braucht es natürlich Zutaten. Im Falle von
Gewittern liest sich das Rezept folgendermaßen: Wir benötigen
1.Labilität, 2.Feuchte und 3.Hebung. Den meisten sind diese Zutaten
wahrscheinlich eher fremd. Daher schauen wir uns diese mal etwas
genauer an.

Was ist Labilität? Dafür ist es zunächst wichtig zu wissen, dass
wärmere Luft eine geringere Dichte hat als kalte Luft. Folglich kann
ein warmes Luftpaket so lange aufsteigen, bis es kälter wird als
seine Umgebungsluft. Beim Aufsteigen kühlt sich das Luftpaket ab.
Damit es weiter aufsteigen kann ist es also wichtig, dass auch die
Umgebungsluft sich möglichst rasch mit der Höhe abkühlt. Für die
Beurteilung der Labilität schauen wir uns also an, wie stark die
Temperaturabnahme mit der Höhe ist. Klassischerweise schauen wir
dabei auf die Temperaturdifferenz zwischen 2 und 4 km Höhe. Je größer
diese ist, desto größer fällt die Zutat Labilität aus.

Was ist Feuchte? Damit sich Wolken, Niederschlag und Gewitter bilden
braucht man Feuchtigkeit. Das liegt auf der Hand. Für Gewitter
schauen wir uns ganz speziell die Feuchte in Bodennähe an. Genauer
gesagt schauen wir, wieviel Wasserdampf im Gasgemisch Luft enthalten
ist. Je mehr Feuchtigkeit es gibt, desto besser ist es für die
Gewitterentwicklung. Daneben ist es aber auch wichtig, dass weiter
oben in der Atmosphäre ausreichend Feuchte vorhanden ist. Ist es zu
trocken, beginnen die Wolken wieder zu verdunsten und das Gewitter
ist Geschichte, ehe es sich richtig entwickeln kann.

Was ist Hebung? Labilität und Feuchte sind ein guter Anfang, damit
sich aber Gewitter durchgreifend und nachhaltig entwickeln können,
braucht es einen (erzwungenen) Hebungsimpuls. Dafür gibt es
verschiedene Möglichkeiten. Eine Möglichkeit ist die Orographie. Im
Tagesverlauf können sich die Gebirgshänge bei Sonnenschein stark
erwärmen, sodass die Luft zum Aufsteigen gezwungen wird. Das ist der
Klassiker bei Luftmassengewittern, wo vor allem im Bergland Gewitter
auftreten. Eine andere Möglichkeit sind Fronten, also Regionen, wo
kalte und warme Luftmassen aufeinandertreffen. Bei einer Kaltfront
schiebt sich zum Beispiel kalte (schwere) Luft wie ein Keil unter die
vorgelagerte Warmluft und zwingt sie aufzusteigen. Eine dritte Option
ist eine sogenannte (Wind)konvergenz. Dabei kommt der Wind am Boden
aus unterschiedlichen Richtungen. Das zum Beispiel der Fall, wenn der
Wind in Ostdeutschland aus östlichen Richtungen weht und dann weiter
westlich auf West dreht. Dort wo Luft zusammenströmt, muss sie
irgendwohin ausweichen. Was bleibt also? Die Luft muss nach oben
steigen und das Resultat ist Hebung.

Okay, nun kennt man die drei Zutaten. Um zu beurteilen wo es Gewitter
gibt, müssen wir also schauen, wo über Deutschland alle drei Zutaten
im Kochtopf zusammenkommen. Das sind dann die Regionen, wo wir eine
erhöhte Wahrscheinlichkeit für Gewitter vorhersagen.

Was aber ist eine gute Suppe ohne Salz? Genau, lasch und fad. Ebenso
ist es bei den Gewittern. Wenn die Würze fehlt, machen die Gewitter
nicht viel her. Das Gewürz entscheidet darüber wie stark die Gewitter
werden und wie groß beispielsweise der zu erwartende Hagel sein wird
oder wie stark der Wind ausfällt. Das Salz ist in unserem Fall die
vertikale Windscherung. Wir schauen zum Beispiel, wie sich der Wind
in Richtung und Stärke zwischen Boden und etwa 6 km Höhe verändert.
Je stärker der Wind zunimmt und die Richtung mit der Höhe ändert,
desto größer ist das Potential für kräftige Gewitter bis in den
Unwetterbereich.

Das ist nun in aller Kürze und stark vereinfacht das Rezept für die
Gewittersuppe. Diese brodelt in Teilen Deutschlands auch in den
nächsten Tagen. Während es heute noch schwierig wird für Gewitter im
Westen oder Nordwesten, schauen die Zutaten morgen in einem Streifen
von Bayern bis nach Mecklenburg-Vorpommern schon deutlich besser aus.
Es wird aber wohl bei einigen wenigen Gewitter bleiben, die dann aber
aufgrund ordentlich Salz in der Suppe kräftig ausfallen können. Der
Höhepunkt der Gewitterentwicklung steht dann am Dienstag von der
Schwäbischen Alb bis in die ostdeutschen Bundesländer an, ehe sich
das Hochsommerintermezzo endgültig auch aus dem Osten verabschiedet.


Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.05.2021

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