DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

02-02-2021 18:30
SXEU31 DWAV 021800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 02.02.2021 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Kommende Nacht im Norden teils erhebliche Glätte. Morgen und in der Nacht zum
Donnerstag Passage eines nicht ganz ausgereiften, aber durchaus ernstzunehmenden
Schnellläufers mit Wind und Sturm in der Mitte und im Süden.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 12 UTC
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Aktuell ... zeigt die großräumige Potenzialverteilung zwei größere Trogkomplexe,
von denen der eine über Nordeuropa, der andere über dem mittleren Nordatlantik
liegt. Getrennt werden die beiden Systeme von einem Höhenhoch mit Zentrum über
Island. Am Südrand des westlichen Troges verläuft die weit nach Süden
abgedrängte Frontalzone über die Biskaya hinweg bis nach Frankreich, wo die
Isohypsen zunehmend divergieren. Demnach befindet sich Deutschland im
diffluenten Ausgangsbereich der Frontalzone, die aber bis zum Morgen dichter an
den Vorhersageraum heranrückt. Dabei splittet sich der Jet in zwei Anteile: der
Hauptstreak über der Biskaya und Westfrankreich und ein Nebenstreak über der
Nordhälfte Deutschlands. Warum das eine gewisse Bedeutung hat, kommen wir
später.
Zunächst mal der Blick in die unteren Troposphärenschichten, wo sich ausgehend
von einem stationären Tief knapp westlich Irlands (REINHARD) eine stattliche
Rinne ausgebildet hat, die sich via südwestliche Nordsee und Niederlande bis zur
östlichen Mitte Deutschlands erstreckt und zunehmend an Schärfe gewinnt. Oder
mit anderen Worten, der begonnene Frontogeneseprozess setzt sich weiter fort, in
dem nördlich der Konvergenzachse mit östlicher Strömung Kaltluft angesaugt wird,
während weiter südlich Südwestwind milde Atlantikluft advehiert. Die
(hyper)barokline Zone, die daraus resultiert, manifestiert sich über Nord- und
Nordostdeutschland, wo sich in 850 hPa ein Temperaturgradient von etwa 7 Grad
auf 180 km einstellt (Mitternacht -7°C an der deutsch-dänischen Grenze und 0°C
knapp südlich von HH). Den Part der Luftmassengrenze übernimmt generisch die
Okklusion von REINHARD, die von Westen her in die Rinne reinläuft und sich dabei
in sehr kleinen Schritten nach Norden bewegt.
Fakt ist, dass es im Bereich der Rinne respektive Okklusion zu Niederschlägen
kommt, die auf der Nordseite als Schnee fallen (Aufgleiten durch Gegenstrom Ost
unten, West oben). Vor allem von SH bis hinüber nach MV kommen dabei bis
Mittwoch früh 1 bis 3, in SH strichweise 5 cm Neuschnee zusammen. Problematisch
wird es im Übergangsbereich von Schnee im Norden in Regen weiter südlich, wo
sich in den Temps ein typisches Glatteisprofil mit einer vertikal nicht allzu
mächtigen kalten Grundschicht und einer niedertroposphärischen Schmelzschicht
("warme Nase") einstellt. Am anfälligsten für gefrierenden Regen mit Glatteis
ist ein Korridor, der von Ostfriesland über den Großraum HH bis hinüber ins
nördliche BB reicht, bei aller gegebenen Unsicherheit, die eine solche Grenzlage
mit sich bringt. Wichtig in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die
Niederschläge in sowie in der Peripherie der Rinne in zwei Schüben fallen.
Zunächst das beschriebene Aufgleiten, dessen Schwerpunkt sich allmählich
ostwärts verlagert und danach das Übergreifen einer flachen Welle von den
Niederlanden her. Letztere bewirkt nicht nur eine Intensivierung der
Niederschläge, sondern zusätzlich eine Labilisierung auf der warmen Seite, die
sogar zu einzelnen Gewittern zwischen Ostfriesland und NRW führen kann (etwas
MUCAPE < 100 J/kg könnte ausreichen). Auf alle Fälle gilt die Faustregel, je
stärker die Intensität des gefrierenden Regens, desto wahrscheinlicher eine
Unwetterwarnung vor Glatteis.
Während sich also im Norden das Wetter bei Temperaturen um oder etwas unter dem
Gefrierpunkt von seiner sensibelsten Seite zeigt und schon kleine regionale
Verrückungen große Auswirkungen haben können, geben sich die Mitte und der Süden
"robust" und mild mit zeitweiligen Regenfällen (in einigen Staulagen 10 bis 15,
lokal nahe 20 l/qm innert 12 h) und fortwährendem Tauwetter.
Der Wind macht sich aus Südwesten kommend vor allem in höheren Lagen der
Mittelgebirge und der Alpen bemerkbar mit Böen 7-8 Bft, exponiert 9-10 Bft.
Außerdem frischt der Ostwind nördlich der Rinne an und auf der Nordsee böig auf
mit Spitzen 7, vereinzelt 8 Bft.

Mittwoch ... kommt weiteres Leben in die von Haus alles andere als langweilige
Bude. Fangen wir im Norden und Nordosten an, wo nach wie vor die Rinne und die
eingelagerte Luftmassengrenze (die Okklusion wurde aufgrund der immensen
thermischen Unterschiede in den Vorhersagekarten in Warm-/Kaltfront umgewandelt)
den Taktstock schwingen. Beide verlagern sich geringfügig nach Norden, so dass
das Areal mit Kaltluft zwar kleiner, aber nicht vollständig aus Deutschland
herausgedrängt wird. Im Klartext bedeutet das vom nördlichen SH bis in den
Norden MVs weitere Schneefälle, die im Laufe des Tages vorübergehend schwächer
werden. Unter dem Strich kommen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt 3 bis 8 cm
Neuschnee zusammen, wobei die Gefahr von Verwehungen zunimmt. Grund ist der im
gesamten Küstenraum sowie im Norden SHs auffrischende Ostwind mit Böen 6-8 Bft,
auf Helgoland später 9 Bft.
Bis weit in den Vormittag hinein muss am Südrand des Schneefalls auch noch mit
gefrierendem Regen und Glatteis (teils Unwetter) gerechnet werden, bevor
Tagesgang und abnehmende Niederschlagsintensität für eine vorübergehende
Entspannung sorgen.
Vom Norden in den Westen, wo sich langsam aber sicher SIEGBERT dem
Vorherdsageraum nähert. Dabei handelt es sich um ein kleines aber feines
Randtief, das aus einer aktuell noch knapp westlich der Biskaya positionierten
offenen Welle hervorgeht. Die Welle gerät etwa ab den Frühstunden, allerdings
nur für kurze Zeit in den linken Aus- bzw. den rechten Eingang der o.e.
Jetstreaks, was Höhendivergenz und entsprechend Entwicklungspotenzial zur Folge
hat. Das Entwicklungsfenster ist aber nur kurz, weshalb SIEGBERT auch nicht zu
einem Herkules seiner Zunft heranwächst. Das Tief befindet sich zur Mittagszeit
mit einem korrespondierendem KW-Trog und einem Kerndruck von etwas unter 995 hPa
unweit der Rheinmündung, von wo aus es über Norddeutschland hinweg ostwärts
zieht. Dabei wird es sich wahrscheinlich nicht mehr vertiefen, stattdessen aber
eine zunehmend elliptische Form annehmen. Zum Tagesende jedenfalls soll der Kern
schon auf polnischer Seite liegen. Wegen seiner Genese ("left exit, right
entrance"), aber auch der schwach ausgeprägten Kaltfront sowie des Feuchtesetups
mit ausgeprägtem Cloud Head auf der Nord- und Nordostflanke (Warm-Conveyor-Belt)
erinnert SIEGBERT zumindest partiell an eine Shapiro-Keyser-Zyklone, weswegen
guten Gewissens von einem Hybridtief gesprochen werden kann.
Fakt ist, dass sich mit der Warmfront mäßige stratiforme Regenfälle von
Frankreich und der Schweiz her rasch ost-nordostwärts ausbreiten. Dabei fallen
verbreitet 5 bis 10 l/qm innert 12 h, in Staulagen etwas mehr (=> Fortdauer des
Tauwetters). Nach Passage der Kaltfront trocknet die rückseitig einfließende
erwärmte Meereskaltluft (T850 ab dem Abend auf Werte um 0°C zurückgehend) zwar
etwas ab, das Feuchteangebot reicht aber noch für einige konvektive
Umlagerungen. Vor allem mitteltroposphärische Abkühlung sorgt für eine starke
Labilisierung der Luftmasse schwerpunktmäßig im Westen und in der Mitte, so dass
mit teils kräftigen Schauern und sogar einzelnen Gewittern gerechnet werden
muss. Diese können aufgrund sehr guter Geschwindigkeitsscherung (richtungsmäßig
tut sich wenig) in der unteren Troposphäre durchaus in kurzen Linien organisiert
sein, was ein Heruntermischen der Oberwinde (925 und 950 hPa mit 35 bis 45, je
nach Modell sogar bis zu 50 Kt) wahrscheinlich macht. Anders ausgedrückt, in
Verbindung mit Konvektion sind durchaus Böen 9 Bft, teils sogar 10 Bft möglich.
Aber auch sonst werden Wind und Sturm am morgigen Mittwoch in die Schlagzeilen
rücken, weil sich mit Annäherung des Tiefs der Gradient von Westen her
verschärft. Der Süd- bis Südwestwind frischt etwa ab Mittag im Westen und
Südwesten auf mit Böen 7-8 Bft, in höheren Lagen je nach Exposition 9 bis 11
Bft. Im Laufe des Nachmittags und Abends breitet sich das Starkwindfeld über die
Mitte und den Süden hinweg ostwärts aus.
Am wärmsten wird es im südlichen Oberrheingraben, wo die Temperatur bis auf 15
oder gar 16°C ansteigt.

In der Nacht zum Donnerstag passiert das Tief mit dem korrespondierenden KW-Trog
zügig den Vorhersageraum. Rückseitig gewinnt die Kaltluft aus dem Norden etwas
an Boden in Richtung Süden, allerdings wird die weiterhin präsente
Luftmassengrenze nach Westen hin durch ein kleines Teiltief über der
südwestlichen Nordsee ausgebremst. Auf alle Fälle kommt es im Norden und
Nordosten zu weiteren Schneefällen, deren Intensität noch nicht abschließend
bewertet werden kann. Wundern würde es aber nicht, wenn in MV, vielleicht auch
im nördlichen BB 5 bis 10 cm Neuschnee (GFS simuliert noch mehr) zusammenkommen
würden. Vorübergehend nimmt die Glatteisgefahr im Übergangsbereich zum Regen
noch mal zu (vor allem im Nordosten), bevor sie im Laufe der Nacht abnimmt.
Das Sturm- bzw. Starkwindfeld überquert den Süden und die Mitte ostwärts, bevor
nachfolgender Druckanstieg den Gradienten auffächern lässt. Aufpassen sollte man
auf den Südwestquadranten des Tiefs, wo Baroklinität und Druckgradient am
stärksten ausgeprägt sind. Insbesondere C-D2 propagiert hier vermehrt das
Auftreten von Böen 9 Bft, vereinzelt sogar 10 Bft.

Donnerstag ... steigen Luftdruck und Potenzial von Südwesten her etwas an. Vor
allem im Süden zeigt sich zeit- und gebietsweise die Sonne. Dabei wird es im
Südwesten bis zu 15°C mild. Im Norden und Osten bleibt trotz Druckanstiegs die
Rinne am Leben, was weitere Schnee- und Regenfälle bedeutet. Wo wann wie viel
fällt, dazu morgen mehr. Der Wind - im N und NO um Ost, sonst aus Südwest bis
West - nimmt landesweit ab, so dass mit Ausnahme der Nordseeküste SHs (Böen bis
7 Bft) keine Warnungen mehr nötig sind.

In der Nacht zum Freitag lassen die Niederschläge im Bereich der Rinne nach.
Dafür nähert sich dem äußersten Südwesten eine kurze Welle, die aber nichts
anderes als Regen bringt. Im Norden und Osten steht leichter Frost auf der
Karte, Glätte durch gefrierende Nässe inclusive.

Freitag ... siehe "Synoptische Übersicht Mittelfrist" von heute Mittag.


Modellvergleich und -einschätzung
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Zwar ziehen die Modelle emsig an einem Strang, gleichwohl bleiben Unschärfen im
Detail (=> viel Nowcasting). Das kann man der Numerik bei Grenzwetterlagen, wie
wir sie derzeit haben, nicht wirklich ankreiden. Vielmehr lehrt es uns, dass die
Natur großen Wert darauf legt, sich nicht vollständig in die Karten gucken zu
lassen. Kann man der Natur nicht vorwerfen, welcher Spieler lässt sich schon
gerne in die Karten schauen...


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann