Thema des Tages

24-01-2021 11:50

Vom Winterempfinden und Stundenschnee


Im heutigen Tagesthema geht um eine verschobene Wahrnehmung, wie man
mittlerweile einen Winter wie den diesjährigen im Vergleich zu früher
einordnet.


In den vergangenen Tagen und Wochen hat es in vielen Teilen
Deutschlands zumindest vorübergehend für eine Schneedecke gereicht.
Im höheren Bergland liegt zum Teil mehr als ein halber Meter Schnee
(z.B. im Erzgebirge, Thüringer Wald oder Schwarzwald). Der ein oder
andere mag finden, dass wir in diesem Jahr endlich mal wieder richtig
Winter haben, manchen ist es gar schon zu viel.

Tatsächlich zeigt sich, dass sich durch den Klimawandel der
Blickwinkel vieler Menschen bereits deutlich verschoben hat. Vor 30
Jahren hätte man den Winter 2020/21 sicherlich nicht als sonderlich
winterlich empfunden. Aber schauen wir doch nochmal genauer drauf.

Bis vergangenes Jahr wurden die Monats- und Jahreszeitenrückblicke,
wie von der WMO empfohlen, immer mit dem vieljährigen Mittelwert von
1961 bis 1990 verglichen. Mit Ende des Jahres 2020 sind jetzt wieder
30 Jahre vergangen. Damit lassen sich aktuelle Monate mit dem neuen
vieljährigen Mittelwert von 1991 bis 2020 vergleichen.
Vergleicht man die alte und neue 30jährige Jahresmitteltemperatur für
Deutschland, kann man gut die Erwärmung der letzten Jahrzehnte
erkennen. So liegt das Deutschlandjahresmittel von 1991 bis 2020 1.1
K über dem von 1961 bis 1990. Für den Monat Januar liegt die
Abweichung sogar bei 1.4 K. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein
Januarmonat der damals durchschnittlich temperiert war, im Jahr 2021
als 1.4 K zu kalt in die Statistik eingehen würde. Mit Blick auf den
gesamten Winter, ist der Mittelwert im Deutschlandschnitt in den
vergangenen 30 Jahren um 1.2 K angestiegen.

Blicken wir nun nochmal auf die diesjährige Wintersaison. In den
vergangenen Jahren war es oft ziemlich mild. Gerade der Winter
2019/20 war ganze 4.2 K wärmer als nach dem Mittelwert 1961 bis 1990.
Auch nach dem neuen vieljährigen Mittel sind es noch 3 K. Dazu gab es
in vielen Regionen im Tiefland gar keinen Tag mit einer Schneedecke.
Insofern wirkt die diesjährige Saison 2020/21 bei weitem
winterlicher. Fast überall im Tiefland gab es bereits eine
Schneedecke und - so man denn darf - hat man jederzeit die
Möglichkeit im Bergland einen ordentlichen Schneespaziergang zu
machen.

Nun kommt natürlich das "Aber". Stundenschnee alleine macht noch
keinen Winter. Schauen wir also mal auf die Temperatur. Der erste
meteorologische Wintermonat Dezember war deutlich zu mild mit im
Schnitt +2.3 K über den vieljährigen Mittelwerten 1961 bis 1990 (1991
bis 2020: + 1.3 K).
Im grauen Januar hat es bisher nur selten für deftige Nachtfröste
gereicht. In vielen Metropolen hat es noch nicht einmal einen Eistag
gegeben (Tageshöchstwerte unter 0 Grad). Das gilt vor allem für die
west- und norddeutschen Großstädte. Folglich kommt der Januar mit
einer bisherigen deutschlandweiten Durchschnittstemperatur von +0,7
Grad auch nicht sonderlich kalt daher. Zieht man das neue vieljährige
Mittel heran, ist der Monat bis zum heutigen Tag mit -0.2 K derzeit
leicht unterdurchschnittlich. Vor 30 Jahren wäre der diesjährige
Januarmonat hingegen mit +1.2 K klar überdurchschnittlich. Gerade der
Januarmonat zeigt die Perspektivenverschiebung damit sehr deutlich.
Das menschliche Gedächtnis schaut gar keine 30 Jahre zurück, sondern
hat oft nur die letzten 10 Jahre in Erinnerung (man vergisst halt
sehr schnell). Das Temperaturmittel der letzten zehn Januarmonate
liegt nochmal 0.5 K höher als der 30jährige Mittelwert von 1991 bis
2020 und damit schon fast 2 Grad über dem letzten Mittel von 1961 bis
1990.

Insofern ist es verständlich, dass man diesen Winter (insbesondere
den Januar) schon als ganz ordentlich empfindet. Vergessen sind bei
vielen, vor allem jüngeren Menschen, die wirklich richtigen Winter.
Erwähnt seien zum Beispiel die Winter 1978/79, 1986/87 oder 1995/96.
Im Deutschlandschnitt waren diese im Vergleich zu 1991 bis 2020,
jeweils 3.2 K, 2.6 K und 3.5 K kälter. In im Deutschlandvergleich
milden Frankfurt gab es 1978/79 ganze 28 Eistage und die tiefste
Temperatur erreichte -17.0 Grad (1986/87: 24 Tage /-17.5 Grad,
1995/96: 21 Tag / -12.5 Grad).
Im Winter 1978/79 gab es in Frankfurt an 48 Tagen eine Schneedecke
(1986/87: 30 Tage, 1995/96: 28 Tage).
Schaut man in andere Regionen Deutschlands (z.B. in die neuen
Bundesländer), so lagen die Temperaturwerte teils noch deutlich
niedriger und der Schnee höher.

Natürlich waren die beispielhaft aufgeführten Winter auch vor 30
Jahren schon Ausnahmewinter. Das ändert aber nichts daran, dass sich
die Perspektive, mit der auf den diesjährigen Winter geschaut wird,
deutlich verschoben hat. Man kann sich schlicht einen Winter wie
damals heute gar nicht mehr vorstellen. Statt an zugefrorenen Seen
erfreut man sich mittlerweile an Stundenschnee und klar, die 17 cm in
Essen sind für Winterfans auch etwas Schönes. Was man allerdings
unter richtigem Winter versteht, gerät so langsam in Vergessenheit
... und daran wird sich bekanntlich auch zukünftig nichts ändern.

Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.01.2021

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