Thema des Tages

19-01-2021 09:20

Blick über den großen Teich

Wetterprognosen können Organisatoren von Freiluftveranstaltungen ganz
schön ins Schwitzen bringen. Ob dazu auch am morgigen Mittwoch in
Washington, D.C. Anlass besteht, lesen Sie im heutigen Thema des
Tages.

Alle vier Jahre, meistens am 20. Januar, steht Washington, D.C. im
besonderen Fokus der politischen und teils auch gesellschaftlichen
Berichterstattung. Es ist jener Tag, an dem der neu oder
wiedergewählte US-Präsident in sein Amt eingeführt wird und seinen
Amtseid vor dem Kapitol und den Augen höchster Prominenz sowie vieler
Zuschauerinnen und Zuschauern feierlich ablegt. Aufgrund der
gesundheitlichen Krisensituation und den Vorkommnissen der
vergangenen Wochen werden zwar die Zuschauermassen dieses Mal
ausbleiben, jedoch wird weiterhin auf eine Feier unter freiem Himmel
gesetzt.

Nun kann man sich natürlich die Frage stellen, warum man solch große
und wichtigen Zeremonien mit normalerweise vielen tausenden und
zehntausenden Teilnehmern mitten im Hochwinter abhält und damit den
größeren meteorologischen Unwägbarkeiten aussetzt. Dazu bedarf es
eines kurzen Blickes in die Geschichte: Nach der ursprünglichen
Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika war der
"Inaugurationstag" nicht der 20. Januar, sondern der 4. März. Dies
ist natürlich ein Termin, der dem Frühling schon sehr nahe kommt und
damit winterliche Temperaturen und Schneetreiben unwahrscheinlicher
sind als im Januar. Allerdings entschied man sich im letzten
Jahrhundert, die Zeit zwischen Wahl und Amtseinführung zu verkürzen
und nach der 37. Inauguration im Jahr 1933 fortan den regelmäßigen
Amtsbeginn auf den 20. Januar vorzuverlegen. Zwangsläufig nahm man
damit auch die potentiellen winterlichen Bedingungen bei diesem
Festakt in Kauf.

Was sind aber nun die genauen klimatologischen Randbedingungen für
Washington, D.C.? Für diese Analyse starten wir zunächst mit der
Geographie: Die Hauptstadt der USA liegt auf 38,85 Grad nördlicher
Breite und damit auf einem ähnlichen Breitengrad wie beispielsweise
Südspanien oder Kalabrien und Sizilien. Bedeutet dies nun
zwangsläufig milde Winter? Kenner der USA werden diese Frage ohne
Probleme sofort beantworten können, denn die Unterschiede zwischen
der Ostküste der USA und Südwesteuropa sind natürlich aufgrund der
unterschiedlichen kontinentalen Einflüsse immens. In klimatologischer
Hinsicht wird in Washington, D.C. im Januar eine
Monatsmitteltemperatur von etwa 1 Grad erreicht, während in Messina
ein Mittelwert von 12 Grad in den langjährigen Statistiken steht.
Hier machen sich die Kaltlufteinbrüche aus dem Norden, den
kontinentalen Bereichen Nordamerikas, deutlich bemerkbar. Sucht man
in Europa eine größere Stadt mit ähnlichen Temperaturmittelwerten,
wird man erst deutlich weiter im Norden fündig, beispielsweise im auf
gleicher Seehöhe gelegenen Kopenhagen. Der mittlere
Januarniederschlag ist zudem in Washington, D.C. mit 69 l/qm etwas
höher als mit 59 l/qm in der dänischen Hauptstadt. Man darf also
nicht überrascht sein, wenn man beim winterlichen Spaziergang um das
Kapitol die eine oder andere Jacke und einen Schirm benötigt, selbst
Schneefall kann ab und zu auftreten.

Der amerikanische Wetterdienst (National Weather Service)
verlautbarte außerdem, dass an einem 20. Januar ein mittlerer
Höchstwert der Lufttemperatur von etwa 6 Grad erreicht wird, der
erwartbare Tiefstwert liegt bei knapp unter -2 Grad (hier jeweils
Grad Celsius, in den USA sind hingegen Grad Fahrenheit gebräuchlich).
Die Niederschlagswahrscheinlichkeit wird mit etwa einem Drittel
angegeben (33 %), an einem von 10 Amtseinführungstagen fällt
normalerweise Schnee.

Die aktuellen Prognosen für die amerikanische Ostküste im Bereich
Washington, D.C. zeigen, dass dieses Jahr ein Höchstwert von etwa 3
bis 5 Grad erreicht wird und zeitweise Wolken über den Himmel
hinwegziehen. Diese stehen in Verbindung mit einer relativ schwach
ausgeprägten Kaltfront, die im Tagesverlauf von Nordwesten her über
die Stadt hinwegzieht. Der damit verbundene Niederschlag sollte
gering ausfallen, allerdings frischt der Wind etwas auf. Damit ist
aber trotzdem unwahrscheinlich, dass die Zeremonie in das Innere des
Kapitols verlegt werden muss (zumindest aufgrund des Wetters) - dies
passierte beispielsweise bei der zweiten Amtseinführung von Ronald
Reagan im Januar 1985, als Höchstwerte um -15 Grad und frischer Wind
erwartet wurden. Zum Schutz aller Beteiligten verzichtete man damals
auf eine Freiluftveranstaltung.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.01.2021

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