Thema des Tages

23-11-2020 09:20

Als Strommasten umknickten - Das "Münsterländer Schneechaos"

Vor fast genau 15 Jahren versanken einige Regionen im Norden
Nordrhein-Westfalens im Schnee. Ein tagelanger Stromausfall war die
Folge. Im heutigen Tagesthema erinnern wir ans "Münsterländer
Schneechaos" und klären die Ursachen dieser historischen Schneefälle.


Aktuell ist das Wetter in Deutschland oft typisch herbstlich grau und
von Schnee ist keine Spur. Auch bisher beschränkten sich Schneefälle
auf die Alpen und die Kammlagen einiger Mittelgebirge. Angesichts der
derzeitigen Wetterlage kann man sich kaum vorstellen, wie hart der
Winter vor 15 Jahren in Teilen von Deutschland zuschlug. Am Freitag,
den 25. November 2005, pünktlich vor dem ersten Adventswochenende,
schneite es vielerorts in Deutschland bis ins Flachland. Aber vor
allem im Münsterland, Tecklenburger Land, Osnabrücker Land und im
südlichen Emsland nahm der Schnee historische Ausmaße an, mit
katastrophalen Folgen, die den dortigen Bewohnern wohl ihr Leben lang
in Erinnerung bleiben werden.

Bereits am Morgen des 25. November setzten in den genannten Regionen
kräftige Schneefälle ein. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt
handelte es sich um Nassschnee, der in dicken Flocken vom Himmel fiel
und das Land im Nu in ein weißes Winterkleid hüllte. Was sich wie ein
Wintertraum anhört, wurde schnell zum Alptraum. Der Schneefall
intensivierte sich am Mittag und Nachmittag immer weiter. Innerhalb
von weniger als 12 Stunden kamen so 30 cm Neuschnee und mehr
zusammen. Auch in der darauffolgenden Nacht schneite es munter
weiter, wenn auch nicht mehr ganz so kräftig. Die morgendlichen
Schneemessungen um 7 Uhr verdeutlichen eindrucksvoll die gefallenen
Schneemassen. Wo tags zuvor die Wiesen noch grün waren, lag nun in
Tecklenburg (Kreis Steinfurt) eine 45 cm dicke Schneedecke. Im
gesamten Großraum Münsterland, Tecklenburger Land und Osnabrücker
Land fielen verbreitet 30 bis 50 cm Neuschnee innerhalb eines Tages.
Augenzeugen berichten von lokal über einem halben Meter Schnee. Das
Bemerkenswerte war, dass der Nordwesten von Deutschland (nur 100 bis
200 m über Meeresniveau!) betroffen war, wo sonst nur selten größere
Schneemengen beobachtet werden und mancher Winter ohne eine einzige
Schneedecke abläuft. Auch im nördlichen Bergischen Land und am
Haarstrang südlich des Ruhrgebiets stapelte sich der Schnee teils auf
über einen halben Meter. Allerdings liegen diese Regionen 200 bis 300
m höher und sind daher öfter größeren Schneemengen ausgesetzt. Bis
zum Abend des 26. November klangen letzte Schneefälle endlich ab.

Derartige Schneemassen in einer sonst eher schneearmen Gegend blieben
natürlich nicht folgenlos. Es kam zu einem Verkehrschaos. LKWs
blieben schon an kleineren Steigungen hängen und auf zahlreichen
Autobahnen gab es kilometerlange Staus. Auf der A1 staute sich der
Verkehr bis zu 35 km und auf der A31 musste die Autobahn beidseitig
gesperrt werden, da ein gerissenes Stromkabel quer über die Fahrbahn
hing. Die eingeschlossenen Fahrer mussten stundenlang in ihren Autos
ausharren. In NRW ereigneten sich etwa 2000 Unfälle mit 140
Verletzten und einem Sachschaden von über 3 Millionen Euro.

Auch zahlreiche Züge steckten fest, weil Bäume auf Oberleitungen
fielen. Der schwere Pappschnee führte an vielen Bäumen und Sträuchern
zu Schneebruch. Besonders betroffen waren die sonst so robusten
Eichen, die wegen des zuvor milden Herbstes noch vollbelaubt waren.
Große Äste oder gar ganze Baumstämme zerbrachen durch die hohe
Schneelast.

Die weitaus schlimmste Katastrophe war aber einer der größten
Stromausfälle der Nachkriegszeit in Deutschland. Viele der 250.000
betroffenen Einwohner waren drei Tage ohne Strom, einige Gehöfte und
Ortsteile mussten sogar über fünf Tage ohne Strom auskommen! In den
Kreisen Steinfurt, Coesfeld und Borken wurde Katastrophenalarm
ausgerufen. Was war passiert? Der sehr nasse Schnee setzte sich auf
den Hochspannungsleitungen ab und umhüllte sie mit einem Eispanzer,
der um ein Vielfaches dicker als die Leitungen selbst war. Die
Leitungen hingen daher extrem durch oder rissen sogar ab. Dem noch
nicht genug - durch einen zeitweise starken bis stürmischen Wind und
der vergrößerten Angriffsfläche gerieten die mehrere Zentimeter dick
vereisten Stromleitungen in so starke Schwingungen, dass selbst
massive Strommasten aus Stahl dem Gewicht nicht standhielten und wie
Streichhölzer umknickten. Das Reparieren der Stromleitungen dauerte
Wochen und der Gesamtschaden durch diese Naturkatastrophe wurde auf
100 Millionen Euro beziffert.

Zum Schluss schauen wir uns noch die Wetterlage an, die das
Münsterländer Schneechaos verursachte. Am 24. November bildete sich
über dem Europäischen Nordmeer westlich von Norwegen das Tief namens
THORSTEN. Eingebettet in eine kräftige Nordströmung zog THORSTEN bis
zum Morgen des 25. November in die Niederlande und verstärkte sich zu
einem Sturmtief. Wie auf einer Autobahn gelangte an der Westseite des
Tiefs mit rasender Geschwindigkeit arktische Polarluft nach Süden und
wurde an der Südseite des Tiefs in den Nordwesten Deutschlands
geführt. Auf der langen Wegstrecke über dem Nordpolarmeer und der
Nordsee nahm die Luft viel Wasser auf. Die kalte und zugleich sehr
feuchte Luftmasse wurde durch das Tief gehoben, wodurch starke
Schneefälle ausgelöst wurden. Dies alleine wäre schon bemerkenswert
gewesen. Dazu kam aber noch die Tatsache, dass THORSTEN über den
Niederlanden quasi eine Vollbremsung einlegte und sich dort mehr als
einen Tag aufhielt, bis sich das Tief allmählich abschwächte. Somit
war ein und dieselbe Region über viele Stunden hinweg von den starken
Schneefällen betroffen. Letztendlich war es also eine Kombination aus
nassem Schnee, starken bis stürmischen Böen und die lange
Verweildauer des Tiefs, die zur Schneekatastrophe führte. Die
Schneefälle sind für die Region als Jahrhundertereignis einzuordnen,
zeigen jedoch auch, dass selbst in Zeiten der Klimaerwärmung und
damit auch in Zukunft historische Schneefälle nicht ausgeschlossen
sind.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.11.2020

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