Thema des Tages

23-10-2020 08:20

Vereisung in der Luftfahrt ? Teil 3: Raureif und Ice Crystal Icing


Der dritte Teil der Reihe zur Vereisung in der Luftfahrt widmet sich
im heutigen Thema des Tages den meteorologischen Bedingungen und
Auswirkungen der etwas spezielleren Vereisungsarten wie Raureif und
von Ice Crystal Icing.

In den vorangegangenen Parts (Teil 1: https://bit.ly/35tljSr und Teil
2: https://bit.ly/35qyBir) haben wir gelernt, dass sich Eisansatz am
Flugzeug vor allem dann bildet, wenn dieses durch eine Luftschicht
mit flüssigem Wasserpartikeln fliegt, deren Temperatur unter dem
Gefrierpunkt liegt. Heute blicken wir auf zwei Vereisungsprozesse,
deren Bildung auf dem festen Aggregatzustand von Wasser fußt:
Eiskristalle.

Raureif entsteht als weißer, kristalliner, federartiger Eisbelag
durch Resublimation des Wasserdampfes (unmittelbarer Übergang vom
gasförmigen in den festen Aggregatzustands) auf der Außenhaut von
Luftfahrzeugen, wenn deren Temperatur unter dem Reifpunkt (siehe
Glossareintrag zum Reifpunkt: https://bit.ly/2IYwawd) der Luft liegt.
Dieser kann sich an den Flugzeugen - überwiegend in der kalten
Jahreszeit - durch Ausstrahlung bilden, wenn die Oberfläche gegenüber
der Lufttemperatur unterkühlt ist. Das ist häufig der Fall, wenn im
Winter ein Flugzeug über Nacht außerhalb einer schützenden Halle, z.
B. auf dem Vorfeld, abgestellt worden ist. Dann setzt sich der
Wasserdampf der Luft an kalten Oberflächen in Form von Eiskristallen
fest. Dieses Phänomen ist auch jedem Autofahrer im Winter geläufig,
wenn man frühmorgens vor dem Weg zur Arbeit erst noch die Scheiben
mühsam freikratzen muss. Aber auch Nebelfrostablagerungen, die sich
aus unterkühlten Wassertröpfchen bei Nebel unter dem Gefrierpunkt
bilden, können Raureif auf Oberflächen hervorrufen. Raureif kann auch
dann entstehen, wenn das Flugzeug aus größeren Höhen in eine warme,
feuchte Luftschicht sinkt. Dabei können die Cockpitscheiben sehr
schnell vereisen, sodass keine Sicht nach außen mehr besteht.

Raureif haftet schlecht am Flugzeug und wird nicht sehr dick. Vor dem
Flug ist trotzdem eine Enteisung erforderlich, da er insbesondere die
laminare Strömung über den Tragflächen erheblich beeinträchtigen
kann. Gerade beim Start kann das fatale Folgen haben. Außerdem könnte
nicht entfernter Reif eine sehr gute Grundlage für spätere Vereisung
in der Flugphase bilden.

Erst in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten wurde die
Vereisungsgefahr durch Eiskristalle in Reiseflughöhe - also sehr
großen Höhen - unter dem Thema "Ice Crystal Icing" etwas genauer
unter die Lupe genommen. Grundsätzlich geht man davon aus, dass unter
einer Lufttemperatur von -40 Grad mit keinerlei Vereisung mehr zu
rechnen ist. Die Luft ist einfach zu kalt, um überhaupt noch
unterkühlte Wassertröpchen aufnehmen zu können. In Reiseflughöhe, die
etwa zwischen 9 und 12 Kilometer nahe der Tropopause liegt, ist die
Temperatur nicht selten im Bereich um oder unter -55 Grad. Das stellt
zunächst keine Gefahr dar. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass
durch die Reibung der Luftteilchen am Flugzeug Wärme entsteht, die
die Temperatur auf der Außenhaut des Flugzeuges erhöht. Diese
Temperatur, die dem Piloten im Cockpit angezeigt wird, ist die
sogenannte "Total Air Temperatur".

Bei Untersuchungen hat man festgestellt, dass vor allem Bereiche mit
sehr kleinen Eiskristallen in hohen Konzentrationen innerhalb und in
der Nähe von konvektiven Wettersystemen existieren. Dies tritt am
häufigsten in tropischen Breiten auf, in denen diese Systeme am
umfangreichsten sind. Die gebildeten Eiskristalle können sich in den
großen Höhen einige Zeit halten nachdem die aktive Konvektion, die
sie erzeugt hat, zu zerfallen begonnen hat. Sie sind mit etwa 40
Mikrometer Durchmesser extrem klein und selbst bei hohen
Konzentrationen tagsüber kaum visuell erkennbar. Das Hauptrisiko für
hohe Eiskristallkonzentrationen besteht windabwärts von der
sichtbaren Ambossform einer Gewitterwolke oder auch in der Nähe von
Overshooting Tops (kuppelartige Ausbuchtungen an der Oberseite einer
Gewitterwolke).

Fliegt das Flugzeug nun durch solch eine Schicht, dann kann sich die
Total Air Temperatur dem Gefrierpunkt annähern, wodurch die
gefrorenen Eiskristalle durch Reibung wieder zu unterkühlten
Wassertropfen werden. Diese können dann wieder an exponierten Stellen
des Flugzeuges ansetzen und Vereisung hervorrufen. Das passiert vor
allem an relativ warmen Stellen wie dem beheizten Triebwerkseinlauf,
den Schaufeln oder dem Spinner. Hier ist es noch relativ
unproblematisch, da es durch die Rotation und die Bewegung des
Triebwerkes abbricht und wieder schmilzt. Wenn sich das Eis jedoch in
tieferen Regionen des Kompressors absetzt, kann dies zu einem
Leistungsverlust oder bis zum Abschalten des Triebwerks führen. In
der beigefügten Grafik (https://bit.ly/3dQhgTP) ist eine schematische
Darstellung eines Triebwerkeinlaufes mit potentiellen Bereichen der
Eisaggregation in den Kompressorbereichen dargestellt. Der Pilot kann
bei frühzeitigem Erkennen dagegen arbeiten, indem er Schub
herausnimmt und damit die Temperatur im Triebwerk senkt oder die
permanente Zündung einschaltet.


M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.10.2020

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