DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

23-07-2020 10:30

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 23.07.2020 um 10.30 UTC



Fortdauer der wechselhaften Witterung der Marke Wz (West zyklonal) mit
zeitweiliger Einlage BM (Brücke Mitteleuropa) respektive oszillierendem
Azorenhochkeil.
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Synoptische Entwicklung bis zum Donnerstag, den 30.07.2020


Zu Beginn des mittelfristigen Prognosezeitraums am kommenden Samstag befindet
sich Deutschland auf der unmittelbaren Rückseite eines taufrisch
durchgeschwenkten, relativ flachen Höhentrogs, der sich im Tagesverlauf unter
Konturverlust weiter nach Osten entfernt. Derweil wird über dem nahen
Ostatlantik eifrig an einem Nachfolgemodell gearbeitet - offensichtlich mit
Erfolg, wenn man die Geometrie des neuen Troges begutachtet. So ist z.B. die
Amplitude deutlich besser ausgestattet als beim Vorgängermodell, entsprechend
ist auch mehr Schärfe im Spiel (gemeint sind jetzt nicht Pfeffer oder Chili,
sondern die Krümmung der Isohypsen). Oder mit anderen Worten, der neue Trog hat
mehr Schmackes und verspricht eine stärkere Wetteraktivität.
Bevor er aber unmittelbar bei uns in Deutschland aufschlägt, dauert es noch ein
Weilchen. Mittelbar macht er sich dadurch bemerkbar, dass auf seiner Vorderseite
die Höhenströmung über dem Vorhersageraum auf Südwest rückdreht und dabei einen
flachen Rücken respektive Höhenkeil entstehen lässt, der für leichten
Zwischenhocheinfluss und einen vergleichsweise unspektakulären Samstag sorgt -
ein besorgniserregender Zustand für zur Aktivität neigende Meteorologen, der
durch ch(o)ronische Fußballabstinenz noch verschärft wird.
Schon zum Sonntag hin ist aber Schluss mit dem (atmosphärischen)
Dahinvegetieren, wenn nämlich nicht nur besagter Trog ziemlich rasch auf
Deutschland übergreift, sondern sich auch das korrespondierende Bodentief
CHRISTIANE, zwischen Island und Schottland gelegen, verstärkt ins Geschehen
einbringt. Konkret tut sie das bezogen auf unseren Raum mit auflebendem Wind und
einem okkludierenden Frontensystem, das dem Höhentrog vorgeschaltet ist. Es
erfasst uns bereits in der Nacht zum Sonntag, um dann tagsüber ohne Umwege und
Pausen zügig ostwärts zu schwenken. Dabei kommt es von West nach Ost zu
schauerartigen Regenfällen und auch dem einen oder anderen Gewitter (24-stündig
bis Sonntagabend im Norden und Westen sowie in Teilen der Mitte immerhin 5 bis
20 l/qm, punktuell durch Stau oder Starkregen auch etwas mehr). Eine
Schwergewitterlage allerdings kann sich aufgrund der zonalen Strukturen sowie
der relativ rasanten Entwicklung nicht aufbauen. Zwar ist es für Details noch
etwas zu früh, es sieht derzeit aber danach aus, dass Gewitter quasi überall
möglich sind: präfrontal sowie an der Front selbst, aber auch postfrontal unter
dem Trog, auch wenn dieser auf seinem Weg nach Osten immer weiter abflacht und
zudem kaum Höhenkaltluft mitgeliefert wird. Was auf alle Fälle gratis geliefert
wird, ist ein Schwall subpolarer Meeresluft, in der die 850-hPa-Temperatur auf
bis zu 7°C im Nordwesten und weiterhin ziemlich warmen 13°C südlich der Donau
zurückgeht.
Zu Beginn der neuen Woche zonalisiert die Höhenströmung nur kurz, bevor -
selbstverständlich möchte man hinzufügen - es über dem nahen Ostatlantik zu
einer neuerlichen Austrogung kommt. Abermals drehen die Höhenwinde vorderseitig
auf Südwest zurück, abermals wird ein flacher Rücken generiert, der in
Verbindung mit dem sich vorübergehend kräftigenden Azorenhochkeil den Montag bei
uns unter Zwischenhocheinfluss setzt. Zum Dienstag hin vergrößert der Trog seine
Amplitude bei gleichzeitiger Verlagerung nach Osten. Druckfall auf seiner
Vorderseite lässt eine langgestreckte, meridional exponierte Tiefdruckzone
entstehen, die am Dienstagmittag (12 UTC) von der Grönlandsee westlich
Spitzbergens via Nordsee und Frankreich bis hinunter zum westlichen Mittelmeer
reicht. Auf seiner Ostflanke wird tatsächlich mal eine Portion südeuropäischer
Subtropikluft aus dem Mittelmeerraum angezapft, die beim Überqueren der Alpen
aber an Wasserdampfgehalt verliert. Immerhin wird - nach Meinung des Verfassers
zum ersten Mal in diesem Sommer - die 20°C-Isotherme in 850 hPa über die
Mainlinie hinweg bis in die mittleren Landesteile gehievt, was doch mal eine
kleine Schlagzeile wert ist. Die Warmfront eines in die Tiefdruckzone
eingelagerten Tiefs über der Nordsee überquert Norddeutschland tagsüber nach
Ansicht von IFS vergleichsweise geräuschlos. Und auch die in der Nacht zu
Mittwoch erfolgende Kaltfrontpassage wird derzeit relativ moderat simuliert, was
u.a. wahrscheinlich der "ungünstigen" Tageszeit geschuldet ist, aber auch mit
der Qualität der Warm- bzw. Heißluft (zu trocken) zu tun haben kann. Noch
sprechen wir hier aber über eine mittelfristige Entwicklung, mal sehen, was am
Ende tatsächlich passiert.
Fakt ist, dass der Hauptlauf den Höhentrog am Mittwoch auf den Vorhersageraum
übergreifen lässt. Gleichzeitig zieht das o.e. Bodentief nach Südskandinavien,
während über Westeuropa und dem nahen Ostatlantik der Luftdruck deutlich steigt
(=> Vorpreschen des Azorenhochs). Die Kaltfront kommt im Süden ins Schleifen,
was dort länger andauernden und anfangs gewittrigen Regen zur Folge hat.
Gleichzeitig wird vor allem in den Norden und Westen mit einem recht schroffen,
an der Nordsee stürmischen West-Nordwestwind frische Meeresluft polaren
Ursprungs advehiert (T850 teils unter 5°C).
Am Donnerstag verbleiben wir unter dem Höhentrog, der uns vergleichsweise kühles
und wechselhaftes Wetter mit einigen Schauern präsentiert. Die Front an den
Alpen löst sich dabei auf, so dass dort der Dauerregen aufhört.

Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick Richtung Monatswechsel (Freitag bis
Sonntag). Inzwischen hat sich das großräumige Potenzialfeld mächtig
aufgeschaukelt. Nicht nur unser Trog hat merklich an Amplitude zugelegt, auch
die beiden flankierenden Höhenrücken über dem nahen Osteuropa sowie dem nahen
Ostatlantik könnten sich auf einer virtuellen Bodybuilder-Messe für
Geopotenzialgebilde durchaus sehen lassen. Jedenfalls verlagert sich das gesamte
Strömungsmuster langsam nach Osten, wobei der Trog abtropfen soll. Luftdruck und
Temperatur steigen an, der abgetropfte Trog könnte aber als Kaltlufttropfen
Heimweh bekommen und wieder zurückkehren.
Noch viel Konjunktiv und Konditional, schauen mer mal, ob die angedeutete
Meridionalisierung der großräumigen Strömungskonfiguration tatsächlich greift.


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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Im neuesten Lauf von IFS (ECMF) von heute 00 UTC finden sich die gleichen Muster
wieder, die auch in den Versionen der jüngsten Vergangenheit angeboten wurden.
Von daher weicht das aktuelle Szenario nicht wirklich von den Vorgängerlösungen
ab oder mit anderen Worten, die wechselhafte Witterung mit abwechselnd Tief- und
Hochdruckeinfluss bleibt uns bis (mindestens?) Mitte kommender Woche erhalten.
Was von Lauf zu Lauf variiert sind das Timing und zum Teil auch die Geometrie
der steuernden Systeme (in der Höhe die Trog-Keil-Muster respektive kurzen
Wellen, am Boden die Hochs und Tiefs mit Fronten), was von Tag zu Tag gewisse
Anpassungen in den Wetterberichten erfordert. Eine grundlegende Abkehr vom
Prognosekurs der vergangenen Tage ist aber nicht vonnöten.
Ob sich in der zweiten Hälfte der kommenden Woche das Strömungsmuster dann mal
nachhaltig von zonal auf meridional umstellt, wie in der heutigen 00-UTC-Version
von IFS offeriert (siehe oben), muss abgewartet werden.

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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Wie so oft im mittelfristigen Modellvergleich haben auch die anderen Akteure
keine GRUNDLEGEND anderen Ideen. In den Einzelabläufen haben IFS, ICON, GFS, GEM
und UKMO - genau um die geht es an dieser Stelle - aber schon ihre eigenen
Vorstellungen. Nun wäre es viel zu aufwendig und in der Sache auch
unverhältnismäßig, die Unterschiede und Unschärfen hier alle aufzuzählen und zu
erörtern. Exemplarisch sei aber der kommende Dienstag angeführt, an dem ICON und
auch GFS der Warmfront im Norden deutlich mehr Regen zutrauen als IFS. Beide
Modelle lassen auch die heiße Luft nicht so weit nach Norden vorankommen.
Ein interessanter Aspekt noch zur erweiterten Mittelfrist. Während das
kanadische GEM ein ähnliches Szenario wie IFS anbietet, lässt sich GFS nicht aus
der Ruhe bringen und setzt das zonale, von kurzen Wellen geprägte Wetterregime
fort.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die IFS-EPS-Plumes verschiedener deutscher Städte zeigen bis Montag einen
gutmütigen, weil ziemlich eng gebündelten Verlauf. Danach nimmt die Streuung
zwar zu, der Potenzial- und Temperaturanstieg zum bzw. am Dienstag sowie der
nachfolgende Abstieg spiegeln sich aber in nahezu allen Ensemblemitgliedern
wider. Es fällt allerdings auf, dass Haupt- und Kontrolllauf zunächst (also im
warmen bis heißen Abschnitt) den oberen, danach (also im postfrontal kühlen
Abschnitt) den unteren Rand der Lösungen markieren. Das lässt den Schluss zu,
dass der Hitzeeinschub von Süden mit T850 über 20°C in der Südhälfte vielleicht
doch nicht ganz so heftig ausfällt wie vom Hauptlauf gewollt. In der zweiten
Wochenhälfte divergieren die Lösungen derart, dass keine belastbaren Aussagen
möglich sind.
Von den Plumes zu den Clustern, die 72-stündig (Sonntag auf Montag) mit drei in
unserem Raum kaum zu unterscheidenden Szenarien beginnen (alle NAO positiv). Ab
Dienstag (T+120...168 h) ändert sich die Anzahl der Cluster nicht. Der Hauptlauf
ist CL 3 zugeordnet (11 Fälle), wo das trogvorderseitige Rückdrehen auf Südwest
am stärksten ausgeprägt ist. CL 2 (15 Fälle) ist am zonalsten aufgestellt,
während CL 1 (25 Fälle + KL) eine Zwischenposition einnimmt. Für den Zeitraum
T+192...240 h (Freitag bis Sonntag) sind vier Cluster im Angebot (18, 13, 11+KL,
9+HL), von denen CL 1 und 2 auf eine zyklonale (CL 2) bzw. antizyklonale (CL 1)
Südwestströmung hinsteuern. CL 3 und 4 sind meridionaler aufgestellt, wobei wir
zunehmend auf die Vorderseite eines sich westlich von uns aufwölbenden
Höhenrückens kämen.

FAZIT: Bis nächsten Mittwoch steht der Kursplan einigermaßen, wobei der
Hauptlauf am Dienstag wahrscheinlich etwas zu warm aufgestellt ist.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Los geht es am Sonntag, wenn Höhentrog und Kaltfront den Vorhersageraum
passieren. Dass dabei Gewitter auftreten, kann als wahrscheinlich angesehen
werden. Dass die Gewitter zum Teil markant ausfallen (Starkregen trotz
Verlagerung, Böen 8-9 Bft, kleinere Hagel) scheint ebenso wahrscheinlich. Für
Unwetter sollte es in den meisten Fällen aber nicht reichen, da nicht genügend
potenzielle Energie (CAPE) im Vorfeld aufgebaut werden kann. Trotzdem, noch ist
das Bild etwas unscharf und die Messe nicht gelesen. Mal sehen, was die nächsten
Modellläufe so in petto haben.
Unsicherheiten bestehen freilich auch noch in Bezug auf den Frontdurchgang von
Dienstag auf Mittwoch. Baroklinität sowie das gesamte Strömungs-Setup sehen
durchaus verheißungsvoll aus für Schwergewitter, Luftmasse und Tageszeit tun es
(noch) nicht. Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten soll und kann an dieser
Stelle nur ganz zaghaft die Möglichkeit einer sich anschließenden markanten
Dauerregenlage am Alpenrand angesprochen werden, zumal auch IFS-EPS in der
Wahrscheinlichkeitsstatistik nicht gerade mit signifikanten Signalen auffällt.

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Basis für Mittelfristvorhersage
MOS-Mix mit IFS-EPS.
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann