Thema des Tages

26-01-2020 15:20

Neues aus der Stratosphäre


Der Winter 2019/2020 verlief bisher deutlich zu warm. Was der
Polarwirbel damit zu tun hat und warum wir wahrscheinlich nun ein
seltenes Phänomen mit prächtigen irisierenden Wolken beobachten
können, soll heute Thema sein.


Der Winter 2019/2020 war selbst in den Mittelgebirgen bisher nahezu
ein Totalausfall. Wintersport geht in den Mittelgebirgen nur auf
Kunstschnee und frühlingshafte Temperaturen sorgten dafür, dass schon
seit Anfang Januar die ersten Pollen fliegen. Verantwortlich für die
ungewöhnlich warmen Temperaturen ist die derzeitige Zirkulation. Seit
Mitte Dezember hat sich eine sehr hartnäckige West- bis
Südwestwetterlage eingestellt. Dabei bilden sich immer wieder
Tiefdruckgebiete bei Neufundland, die Richtung Europa ziehen. Über
Süd- und Mitteleuropa liegt gleichzeitig ein Hochdruckgebiet, das die
atlantischen Tiefdruckgebiete dann aber auf eine
Südwest-Nordostzugbahn über Großbritannien nach Nordskandinavien
zwingt. Mitteleuropa verblieb dabei meistens in einer
Südwestströmung, in der es immer wieder zum Vorstoß von sehr milden
subtropischen Luftmassen kommt. Dabei dominierte bei uns überwiegend
Hochdruckeinfluss. Dies ist eine der denkbar wärmsten Wetterlage zu
dieser Jahreszeit.

Wie kann so eine Wetterlage so lange stabil bleiben?
Hauptverantwortlich dafür ist der Polarwirbel. Der Polarwirbel ist
ein mit Kaltluft angefülltes Höhentief, das sich aufgrund der
Abkühlung im Winterhalbjahr in der Troposphäre und Stratosphäre nahe
dem Nordpol ausbildet. Ist der stratosphärische Polarwirbel im Winter
stark, so wirkt dies verstärkend auf den Jetstream, der sich dann
bevorzugt in West-Ost-Richtung ausrichtet. Dies bedeutet, dass
vorwiegend Westwetterlagen entstehen, bei der Tiefdruckgebiete in
schneller Abfolge vom Atlantik über Nordeuropa ziehen. Die Kaltluft
verbleibt dabei meist nördlich der Tiefdruckgebiete, Richtung Pol,
was überwiegend milde Temperaturen bei uns zur Folge hat. Schwächt
sich der Polarwirbel aber ab, oder teilt er sich sogar, dann fangen
die Teilwirbel an zu taumeln und werden häufig in südlichere Breiten
abgedrängt. Starke Kaltluftausbrüche bis weit nach Süden sind häufig
die Folge. Diesen Winter ist der Polarwirbel allerdings ungewöhnlich
stark. Hinzu kommt, dass er in der Troposphäre für Winterfreunde noch
ungünstig über Nordostkanada und Grönland liegt. Er markiert dort die
Region der kältesten Luft. Diese Kaltluft fließt von dort über den
relativ warmen Nordatlantik. Dadurch bilden sich immer wieder
Tiefdruckgebiete, sodass die Tiefdruckkette und die daraus für uns
folgende Südwestströmung nicht abreißen kann. Dieses
Zirkulationsmuster ist äußerst stabil und war typisch für die meisten
deutlich zu milden Winter, wie z. B. 2006/07, 2007/08 und 2013/14 in
Deutschland.

Somit ist auch im Mittelfristbereich (in den nächsten 10 Tagen) kein
nachhaltiger Winter in Sicht. Derzeit rechnen die Modelle aber eine
starke Erwärmung in der Stratosphäre, die den Polarwirbel schwächen
könnte. Ob sich diese Schwächung auch bis in die Troposphäre
fortsetzt, was ab der 2. Februardekade unsere Chancen auf
Winterwetter verbessern würde, bleibt aber abzuwarten.

Aktuell hat sich zumindest der stratosphärische Polarwirbel erst mal
Richtung Nordeuropa verschoben (siehe Abbildung), wobei das nördliche
Mitteleuropa mit stratosphärischen Temperaturen bis unter -80 °C
gestreift wird. (Die nordhemisphärische Karte zeigt die Position des
Polarwirbels und die Temperatur in etwa 20 km Höhe). Für unser
Wettergeschehen hat dies zwar keine unmittelbaren Folgen, allerdings
führt das zu einem weiteren interessanten Phänomen, farbenprächtige
irisierende sogenannte Polarstratosphärische Wolken (PSCs).

Polare Stratosphärenwolken benötigen für ihre Entstehung eine
Temperatur von mindestens -78 °C. Diese Temperaturen findet man in
der winterlichen Stratosphäre innerhalb des Polarwirbels in einer
Höhe von 15 bis 30 km wieder. Für die Entstehung von Wassereis
mangelt es jedoch in diesen Höhen an Wassermolekülen. Dennoch gibt es
dort eine Aerosolschicht (die sogenannte "Jungschicht"), die aus
winzigen Schwefelsäuretröpfchen besteht. Die Hauptquelle für diese
Schwefelsäuretröpfchen sind Vulkanausbrüche. Bei Temperaturen unter
-78 °C lagern sich an diesen Tröpfchen die wenigen Wasser- und
Salpetersäuremoleküle ab. Aus diesem Gemisch entstehen die polaren
Stratosphärenwolken. Bei weiter sinkenden Temperaturen bilden sich
aus den Tröpfchen Kristalle, an denen das einfallende Sonnenlicht
gebrochen wird und somit die perlmuttartige Erscheinung der Wolken
erzeugt.

Meist bilden sich diese Wolken in arktischen bzw. antarktischen
Wintern nur in polaren Regionen jenseits des 80. Breitengrades, weil
nur dort die dafür benötigten sehr niedrigen Temperaturen auftreten.
Eher selten, wie zuletzt im Februar 2016 und im Januar 2010, lassen
sich PSCs auch in mittleren Breiten beobachten. Damals konnte man
nach Sonnenuntergang ein intensives Purpurlicht (eine sehr starke
rote bis purpurne Färbung des Abendhimmels) in der Dämmerung sehen.
Diese Färbung entsteht durch die Mehrfachstreuung des Sonnenlichtes
an den PSCs in den Erdschatten.

Die Beobachtungschancen stehen in den nächsten Tagen durch das trübe
Wetter leider schlecht. Sollten Sie allerdings Wolkenlücken finden,
so lohnt sich ein Blick zum Himmel.


Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 26.01.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst