DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

08-12-2019 18:01
SXEU31 DWAV 081800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 08.12.2019 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
RUDI, RUDI, Ralala - Vierfachsturmtief mit Vollgas in die neue Woche.
Montagnachmittag/-abend auf und an der Nordsee kurzzeitig schwerer
Nordweststurm.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 12 UTC
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Aktuell ... befindet sich Deutschland unter der stark zyklonal deformierten
Frontalzone auf der Vorderseite eines sich über Westeuropa zusehends
amplifizierenden Höhentrogs. Dieser beabsichtigt, im Verbund mit höhenkalter
Luft (T500 um -30°C) dem Vorhersageraum einen wechselhaften Wochenstart zu
bescheren, was angesichts seiner von allen Modellen prognostizierten Progression
auch gelingen wird.
Weitaus imposanter als die Potenzialverteilung entpuppt sich das Geschehen auf
Augenhöhe, sprich im bodennahen Niveau. Dort hat sich nördlich von uns eine
vierteilige Armada der RUDI-Sippe formiert, meint, eine aus vier Kernen
bestehende Tiefdruckzone, deren westlicher Kern um 18 UTC unweit der Hebriden
und der östliche Kern kurz vorm Übertritt von Mittelschweden zum Bottenbusen
steht. Vervollständigt wird das Bild von einem 960-hPa-Doppelkorn (Quatsch,
Doppelkern) vor Svinöy (NOR) bzw. knapp südwestlich der Haltenbank. Im Laufe der
Nacht ändert sich die nahezu zonal exponierte Ausrichtung der vier "Brüder" wie
folgt: der östliche Teil (RUDI II) steuert Finnland an und spielt für uns keine
Rolle mehr. Das westliche Minimum schwenkt über die Irische See hinweg gen
Südengland bzw. Ostausgang des Ärmelkanals, wobei es mehr und mehr zu einem
gewöhnlichen, aber sehr gut ausgeprägten Bodentrog mutiert. Derweil zieht den
östlichen Teil des innerzyklonalen Doppelkerns auf das norwegische Festland, wo
er bis morgen früh reibungsbedingt einige Einbußen hinnehmen muss. Tja, und den
Letzten der vier "Mohikaner" - offiziell RUDI I - zieht es nach Süden in
Richtung Nordsee, wo er am Morgen mit rund 980 hPa Kerndruck über dem Seegebiet
Forties aufschlägt und damit erheblich weiter westlich als im Vorlauf.

So viel zur Wetterlage, jetzt zum Wetter selbst. Da sieht es so aus, dass die
teilokkludierte, von den RUDIs zu uns geschickte Kaltfront mit dem zugehörigen
Regenband die Alpen erreicht. Rückseitig wird er gesamte Vorhersageraum von
polarer Meeresluft überspült, in der die 850-hPa-Temperatur auf 0 bis -4°C
zurückgeht. Dadurch, dass die Luftmasse einen weiten Bogen um den westlichen
RUDI schlagen muss und dabei relativ warme Gewässer überstreicht, ist sie stark
modifiziert, sprich, diabatisch erwärmt. An den Alpen sinkt die Schneefallgrenze
bis zum Morgen auf etwa 1000 m, allerdings ist es dann auch schon weitgehend
vorbei mit dem Niederschlag. Rückseitig der Front kommt es noch zu einzelnen
Schauern, im Westen und an der Nordsee vereinzelt kurzen Gewittern
(Höhenkaltluft). Die Schneefallgrenze sinkt auf rund 700 m, viel Schnee fällt
aber nicht (höher gelegene Straßen Glätte durch geringfügigen Schneefall oder
etwas Schneematsch).
Der südwestliche Wind nimmt nach einer abendlichen Pause vom Westen bis zur
Mitte wieder zu (7 Bft). An der See sowie im höheren Bergland bleibt es ohnehin
stürmisch (8-9 Bft), in exponierten Hochlagen 10 bis 12 Bft.

Montag ... gelangt Deutschland genau unter den o.e. Höhentrog, der sich
inzwischen zu einem stattlichen Exemplar mit einer über die Alpen nach Süden
reichenden Amplitude gemausert hat. Angefüllt ist der Trog mit höhenkalter Luft,
die in 500 hPa um -30°C temperiert ist. Korrespondierend zum Höhentrog schwenkt
auch ein Bodentrog über Deutschland hinweg ostwärts, während das zugehörige Tief
RUDI I von Forties zur friesischen Küste zieht (12 UTC, rund 990 hPa). So
richtig klar zeichnet sich ein abgeschlossener Kern nicht mehr ab, außerdem
liegt das Tief deutlich südlicher als in den Vorläufen. Entsprechend muss diese
Version noch mit aller gegebener Vorsicht betrachtet werden.
So oder so, der Süd-Südwestwind frischt in Böen verbreitet steif bis stürmisch
auf (7-8 Bft), die "8er" vor allem in Schauernähe. Am wenigsten Wind dürfte es
im ost-nordostdeutschen Binnenland geben, mit Durchgang des Bodentrogs später
auch im Westen und Nordwesten. An der See sind anfangs noch vereinzelt Sturmböen
9 Bft am Start, bevor es auch dort eine Pause gibt. Richtig interessant (aber
auch noch unsicher) wird es im Laufe des Nachmittags unmittelbar auf der
Rückseite des ost-südostwärts abziehenden Bodentrogs respektive -tiefs (wenn
noch was davon übrig ist). Mit Winddrehung auf Nordwest kommt es an und auf der
Nordsee kurzzeitig zu einem schweren Sturm mit Böen bis 10 Bft, exponiert sogar
11 Bft. Und auch im nordwestdeutschen Binnenland werden vom neuesten Lauf (ICON
+ COSMO-D2) vermehrt Böen 8 bis 9 Bft, in Einzelfällen sogar 10 Bft angeboten.
Die offizielle Vorhersage sollte aber nach wie vor den Konjunktiv nutzen, da die
Modellprognosen immer noch unscharf sind (GFS von 12 UTC ist z.B. entspannter)
und auch die interne Modellkonsistenz von ICON und COSMO-D2 nicht gerade
überragend ist. Im weiteren Verlauf des Abends und der Nacht zum Dienstag
verlagert sich das Sturmfeld unter deutlicher Abschwächung über Norddeutschland
ostwärts hinweg und mit steigendem Luftdruck kommt es von Westen her zu einer
deutlichen Beruhigung.
Abgesehen vom Wind gestaltet sich der Montag sehr wechselhaft mit raschen
Wolkenverschiebungen, nur kurzen Lücken, dafür aber zahlreichen Regen- und
Graupelschauern, hier und da mit Blitz und Donner. Die geringste
Schaueraktivität zeichnet sich im Osten und Südosten ab. Mit der Winddrehung
über West auf Nordwest strömt die polare Meeresluft auf immer direkterem Wege zu
uns - ein Sachverhalt, der sich freilich auch in der niedertroposphärischen
Temperatur widerspiegelt. Sind es um 12 UTC noch +2 bis -2°C in 850 hPa, liegen
die Werte um Mitternacht nur noch bei -3 bis
-6°C. Entsprechend sinkt die Schneefallgrenze von tagsüber rund 700 m (Alpen bei
1000 m) bis auf rund 400 m in der Nacht ab. Bis zum Morgen reicht es in den
meisten Mittelgebirgen für eine dünne Schneedecke von wenigen Zentimetern, im
Oberharz, im Erzgebirge sowie im Schwarzwald bis zu 5 cm, mit etwas Glück lokal
sogar an die 10 cm. Den meisten Schnee dürfte der Alpenrand in der Nacht zum
Dienstag abbekommen, wo sich vorübergehend eine Stausituation einstellt. Dort
reicht es vielerorts für 5 bis 10 cm, in exponierten Staulagen um 15 cm, im
Allgäu sogar um oder etwas über 20 cm Neuschnee, was dort sicherlich mehr Segen
denn Fluch ist.

Dienstag ... ziehen Höhen- und Bodentrog rasch nach Osten ab und von Westen her
steigen Potenzial und Luftdruck weiter kräftig an. Somit kommt die eingeflossene
polare Meeresluft (T850 inzwischen -4 bis -7°C) unter Zwischenhocheinfluss, was
Wind und Niederschlag zur Ruhe bringt. Am Vormittag kommt es im Süden und
Südosten sowie im östlichen Mittelgebirgsraum noch zu einigen Schnee- oder
Schneeregenschauern, die vor allem an den Alpen noch mal ein paar Zentimeter
Neuschnee bringen. Ansonsten lockert die Wolkendecke mal mehr, mal weniger auf
und es bleibt für längere Zeit niederschlagsfrei. Erst am Nachmittag und Abend
zieht im Westen und Nordwesten vermehrt mittelhohe und hohe Bewölkung auf, die
auf kräftige WLA zurückzuführen ist.
Zum Abend hin frischt dann auch der auf Süd drehende Wind auf der Nordsee
(Sturm) sowie an der Grenze zu BeNe wieder auf - ein klares Zeichen auf das
nächste Sturmtief (genannt SIRO), das tagsüber knapp vor der isländischen
Südküste nach Osten zieht. Der Kerndruck beträgt um 12 UTC rund 960 hPa, Tendenz
weiter fallend!
Temperaturmäßig reicht es am Dienstag "nur" noch zu 2 bis 8°C, im höheren
Bergland herrscht leichter Dauerfrost.

In der Nacht zum Mittwoch sorgt starker Druckfall für ein rasches Ende des
Zwischenhocheinflusses. Gleichwohl bleibt es im Süden und Osten noch längere
Zeit gering bewölkt oder klar mit leichtem, vor allem dort, wo Schnee liegt,
auch mäßigen Frost. Ansonsten breitet sich frontaler Niederschlag von Nordwesten
her ostwärts aus und erreicht gegen Morgen etwa eine Linie Rügen-Harz-Pfalz.
Dabei fällt überwiegend Regen, der später in höheren Lagen Westdeutschlands in
Schnee übergeht. Vorderseitig des okkludierenden Frontensystems steigt die
Temperatur niedertroposphärisch an (T850 bis zu 5/6°C), während sich unten eine
dünne Kaltluftschicht bildet. Gerade im Mittelgebirgsraum, wo es leichten Frost
geben kann, besteht lokal die Gefahr von gefrierendem Regen (schöne "warme Nase"
in den Prognosetemps). Allerdings ist fraglich, ob Gegenstrahlung und etwas
auflebender Wind (trotz stabiler Schichtung) nicht schon vorzeitig für
ausreichende Milderung sorgen. Eine überregionale gefährliche Glatteislage
zeichnet sich derzeit jedenfalls nicht ab.
Der südliche Wind erreicht an der See in Böen Stärke 7-8 Bft, an und auf der
Nordsee vorübergehend sogar 9-10 Bft. Im norddeutschen Binnenland reicht es für
Böen 7 Bft ebenso wie in Leelagen Westdeutschlands. Auch das höhere Bergland des
zentralen Mittelgebirgsraums sowie der Oberharz reagieren mit Böen 7 bis 9 Bft,
auf dem Brocken bis 11 Bft.

Mittwoch ... formiert sich über Westeuropa ein neuer Trog, der uns zunächst mal
seine Vorderseite anbietet. Konkret heißt das eine südwestliche Höhenströmung,
die das okkludierende Frontensystem auf seinem Weg nach Südosten ausbremst.
Möglicherweise bildet sich sogar eine Welle, die auch nicht gerade als
Beschleunigungskatalysatoren bekannt sind. So verwundert es nicht, dass auch der
frontale Niederschlag ins Stocken gerät und nur langsam die östlichen und
südlichen Landesteile okkupiert. Ob es dabei im Südosten irgendwo zu
gefrierendem Regen mit Glatteis kommt, wie von den Modellen signalisiert, bleibt
abzuwarten. Nach Westen und zur Mitte hin sinkt die Schneefallgrenze auf unter
1000 m, wobei der genaue Verlauf der relevanten Isothermen noch unscharf ist.
Mit Ausnahme der Küste und einiger Hochlagen legt sich der südliche Wind wieder.
Höchstwerte 3 bis 9°C.


Modellvergleich und -einschätzung
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Am neuralgischten ist die genaue Windentwicklung morgen Nachmittag/Abend im
Nordwesten, was im Text bereits angerissen wurde. Leider liegen aktuell noch
nicht alle 12-UTC-Läufe vor, um einen substanziellen Modellvergleich anstellen
zu können. COSMO-D2-EPS jedenfalls agiert deutlich zurückhaltender als sein
deterministisches Pendant, was ein Hinweis auf weniger Sturm im Binnenland sein
kann.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann