Thema des Tages

19-09-2019 13:20

Wettervorhersage: Der weite Weg zur Automatisierung

Computer- und Vorhersagemodelle nehmen den Meteorologen in der
Wettervorhersage zunehmend Arbeit ab. Doch auch heutzutage ist für
viele finale Entscheidungen immer noch der Mensch gefragt. Was kann
das menschliche Gehirn, was die Computer (noch) nicht können?

Sicher: So wie noch vor ein paar Jahrzehnten sieht es an den
Arbeitsplätzen der Meteorologen nicht mehr aus. Der Leuchttisch, auf
dem Bodenwetterkarten (u.a. auf Basis von Bodenstationsmeldungen und
Satellitenbildern) einst händisch gezeichnet wurden, hat ausgedient.
Die heutigen Analysen werden am Bildschirm angefertigt. Dafür liegen
ihnen immer größere und immer vielfältigere Datenmengen an
meteorologischen Messgrößen zugrunde, welche die entsprechende
Software in einer Vielzahl von unterschiedlichen "bunten" Karten
veranschaulicht. Es genügt beispielsweise ein Klick, um sich eine
europaweite Temperaturkarte für das 500-hPa-Druckniveau (ca. 5-6 km
Höhe über NN) anzeigen zu lassen - und deren Prognose für die
kommenden Tage. Diese Modelle werden aber nicht in ihrer "Rohform"
einfach so an die Öffentlichkeit herausgegeben (dies könnte sonst
schon vollautomatisch geschehen). Vielmehr obliegt die endgültige
Beurteilung auf Plausibilität, Folgen der Wetterentwicklung für
unterschiedliche Parameter (Niederschlagsmenge, Windlage, etc.),
Warnwürdigkeit, etc. weiterhin einem/-r Meteorologen/-in aus Fleisch
und Blut. Denn bei vielen Einzelheiten stoßen die Modelle schnell an
ihre Grenzen.

Ein grundsätzliches Problem liegt in ihrer Auflösung begründet: Das
Wettergeschehen auf der Erde wird nicht kontinuierlich für jeden
einzelnen Punkt erfasst, sondern es wird ein imaginäres Gitter über
das betreffende Gebiet gelegt, innerhalb dessen Zellen die
meteorologischen Parameter gemittelt betrachtet werden. Dabei beträgt
die Gitterweite bei den Globalmodellen meist zwischen 10 und 20 km,
regional gibt es stellenweise auch feinere Auflösungen (siehe weiter
unten). Für großskalige Prozesse wie weiträumig verteilte Hoch- und
Tiefdruckgebiete stellt dies kein größeres Problem dar, die
"Verpixelung" spielt in dieser Größenordnung keine Rolle. Je
kleinskaliger die Prozesse jedoch sind, desto schwieriger wird es,
diese im Detail zu erfassen.

So ist es bei Wetterlagen, die zur Bildung von lokalen Schauern und
Gewittern neigen, für ein Modell faktisch unmöglich, zu ermitteln, wo
genau welche Art von Niederschlag mit welcher Intensität fallen wird
und wie genau sich die Niederschläge verlagern. Es kann höchstens
einschätzen, innerhalb welcher Gitterzellen ein Schauer- bzw.
Gewitterrisiko gegeben ist, und ggf. in welchem Bereich sich die
Niederschlagsmengen bewegen werden. Es gibt durchaus aber auch
Regionalmodelle, die mit einer Gitterauflösung von 1 bis 10 km auch
Konvektion genauer erfassen können. Doch wo genau ein Gewitter
entsteht und welche Punkte genau mit welcher Intensität betroffen
sein werden, entscheiden Schwankungen meteorologischer Messgrößen
(Temperatur, Feuchtigkeit, etc.) in einer Größenordnung, für die es
auch in absehbarer Zeit keine genügend feine Gitterauflösung geben
wird. Ebenso utopisch wäre es, nach einer genauen Wolkenvorhersage zu
verlangen, die einem sagt, wo und zu welcher Uhrzeit welche Wolke
entstehen wird. Auch detaillierte Fragen zu Nebel - genaue räumliche
Ausdehnung, Sichtweite, Auflösungszeitpunkt, etc. - lassen sich nur
durch tendenzielle Aussagen beantworten.

In den täglichen Wetter- und Warnlageberichten sind aber detaillierte
Informationen von großem öffentlichem Interesse. Der Meteorologe,
genauer gesagt Synoptiker (Meteorologen, die sich mit der Kurz- und
Mittelfristvorhersage befassen), muss daher meist einen Kompromiss
finden: Zwischen dem, was die Modelle grobmaschig einigermaßen sicher
anzeigen, über das lokale Wettergeschehen jedoch keine Information
gibt, und Vorhersagen über kleinräumige Prozesse, die aber zu einem
gewissen Anteil immer spekulativ bleiben. Die heutzutage verwendeten
Modelle liefern für Deutschland beispielsweise Abschätzungen darüber,
in welchen Bereichen über einen bestimmten Zeitraum mit wie viel
Niederschlag (ungefähr!) zu rechnen ist. Manche Modelle zeigen auch
die genaue Niederschlagsform (Dauerniederschläge, Schauer,
Regen/Schnee/Hagel, etc.) an. Doch erst durch einen Vergleich mit
weiteren Parametern, welche dies beeinflussen können
(Druckverteilung, Antrieb für Konvektion, Temperatur, etc.) kommt der
Synoptiker zu konkreteren Aussagen. "Konkret" heißt in diesem
Zusammenhang, die betroffenen Bereiche so genau wie möglich
einzugrenzen und eine zusammenfassende Aussage über das
Niederschlagsrisiko und die potentielle Niederschlagsmenge zu machen.
Um die Information möglichst genau zu halten und ggf. vor spontan
entstandenen lokalen Unwettern warnen zu können, muss er darüber
hinaus auch stetig die aktuelle Entwicklung verfolgen und die
Vorhersage, bzw. Warnungen anpassen. Ein weiteres Beispiel ist die
Nebelvorhersage: Die aktuell verwendeten Modelle geben nur an, in
welchen Regionen mit Nebel zu rechnen ist - nicht aber, wo genau und
mit welcher Sichtweite. In diesem Zusammenhang spielt die Erfahrung
sowie das Verständnis zugrundeliegender physikalischer Prozesse eine
Rolle. Dass es in windgeschützten Tallagen mit ausreichender
Feuchtigkeit, also beispielsweise in Flusstälern, am ehesten Nebel
gibt, sagt einem die Erfahrung. Wird dabei noch besonders feuchte
Luft herangeführt, sind, wo die Tiefsttemperatur den Taupunkt
erreicht, Warnungen vor dichterem Nebel oft angebracht. Und die Liste
an kritischen Entscheidungssituationen geht noch weiter: Wann reicht
die Konvektion nur für Schauer, wann kann es auch Gewitter geben?
Hierbei hilft es, sich den Temperaturunterschied zwischen Boden und
oberen Atmosphärenschichten anzusehen, sowie die potentielle Energie,
die für Konvektion vorhanden ist ("CAPE"). Welche Gewitter bergen ein
Risiko für Hagel welcher Korngröße? Wo ist bei Temperaturen "um den
Gefrierpunkt" mit Regen, wo mit Schnee zu rechnen? Wo beeinflussen
städtische Wärmeinseln die Nachttiefsttemperaturen?

Hinzu kommt, dass sich die unterschiedlichen Modelle, je weiter sie
in die Zukunft reichen, meist zunehmend uneinig werden, da die
Wetterentwicklung schon auf kleinste Änderungen der
Ausgangsbedingungen sehr empfindlich reagiert. Für die Entscheidung,
was hierbei als am realistischsten bewertet werden kann, ist dann
beispielsweise hilfreich zu vergleichen, in welche Richtung die
Mehrzahl der Modelle tendiert.

Schlussendlich kommen wir auch nochmals zur eingangs erwähnten
Bodenwetterkarte zurück: Auch wenn Stift und Papier ausgedient haben
(allerdings erst seit 2015), muss auch beim Zeichnen am Bildschirm
der Synoptiker noch viel eingreifen. Die Modelle liefern durch
Berechnungen zwar Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks), die sich
aber durch Vergleich mit Bodenmessdaten oft noch als ungenau und
fehlerhaft erweisen, sie müssen ggf. händisch korrigiert und
"geglättet" werden. Darüber hinaus sind die meisten Modelle auch
heute noch nicht in der Lage, Luftmassengrenzen zu generieren
(Warm-/Kaltfront, Okklusion, Konvergenzlinien). Diese Aufgabe obliegt
weiterhin allein dem Synoptiker, der sich dabei an bekannten
Merkmalen solcher Erscheinungen orientiert, die sich aus Karten
ablesen lassen. Eine Kaltfront beispielsweise kann aus folgenden
Bodenmessdaten ausfindig gemacht werden: Deutlicher Windsprung,
Druckanstieg, fallender Temperatur und wachsende Diskrepanz zwischen
Temperatur und Taupunkt. Weiter können Satellitenbilder helfen, um
für Fronten charakteristische Wolkenformationen zu erkennen.

Als Fazit lässt sich sagen, dass die Automatisierung in vielen
Bereichen schon vorangeschritten ist, was auch zu Veränderungen und
Verschiebungen im Arbeitsfeld der Meteorologen geführt hat. Eine
vollständige Automatisierung der Wettervorhersage ist jedoch noch
Zukunftsmusik. Das sind wiederum gute Nachrichten für Synoptiker,
deren Berufsfeld trotz zunehmenden Computereinsatz auch auf absehbare
Zeit nicht aussterben wird.

Meteorologe Niklas Anczykowski in Zusammenarbeit mit Dipl.-Met Adrian
Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 19.09.2019

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