Thema des Tages

18-07-2019 07:50

Die ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des Tropensturms BARRY

Es ist landläufig bekannt, dass sich Tropenstürme bevorzugt über dem
warmen Ozean entwickeln. Das heutige Thema des Tages beschäftigt sich
mit der Entstehung des Tropensturms BARRY, die über Land und somit
weit ab vom warmen Meereswasser begann.

Im Verlauf der vergangenen Woche bildete sich über dem Golf von
Mexiko der erste Hurrikan der Saison 2019 mit dem Namen BARRY und
wies somit eng begrenzt mittlere Windgeschwindigkeiten von rund 120
km/h auf. Dass die Intensivierung nicht noch heftiger ausfiel, war
beständiger Windscherung (Windzunahme mit der Höhe) und einer
trockenen Luftmasse in seiner Umgebung zu verdanken. Daher wird
dieser Sturm mit Sicherheit nicht wegen seiner Windgeschwindigkeiten
in die Geschichtsbücher eingehen.

Bedeutender war, dass BARRY nur sehr langsam an Land zog und somit
verbreitet teils erhebliche Niederschlagsmengen von mehr als 200 l/qm
brachte. Strichweise wurden in Louisiana innerhalb von ein bis zwei
Tagen mehr als 500 l/qm, in Arkansas mehr als 400 l/qm Regen
gemessen. Zudem fielen diese Regenmassen in einer Region, die nicht
nur rund 40 bis 60 % zu hohe Bodenfeuchtewerte im Vergleich zur
langjährigen Klimatologie aufwies (Quelle: Climate Prediction
Center), sondern auch bereits vor dem Eintreffen von BARRY mit
Hochwasser zu kämpfen hatte. Daher verwundert es nicht, dass die
Überschwemmungen regional signifikant ausfielen, allerdings weit
unter den Ausmaßen von Hurrikan KATRINA aus dem Jahr 2005. Doch was
macht BARRY noch interessanter?

Kurz zur Erinnerung: Die Entwicklung tropischer Stürme setzt im
Allgemeinen warme Wasseroberflächen sowie eine warme und feuchte und
somit potentiell labil geschichtete Troposphäre voraus. Der Wind
sollte mit der Höhe nicht zunehmen, was in der Meteorologie unter dem
Begriff "schwacher Windscherung" bekannt ist. Konvektion kann sich
nun, stark vereinfacht gesagt, ungestört bilden und sich allmählich
zu einem Tropensturm entwickeln.

Die Entstehungsgeschichte von BARRY war eine atypische, wenn auch
nicht ungehörte. Normalerweise richten die nordamerikanischen
Meteorologen ihre Blicke gen Osten, wenn es um die
Tropensturmvorhersage für die Bereiche der südlichen und östlichen
USA geht. Im Thema des Tages vom 20. Juni 2019 wurde ein möglicher
Prozess erklärt, wie sich Tropenstürme aus sogenannten "African
easterly waves" entwickeln können. Es gibt noch weitere
Entwicklungsmöglichkeiten, die sich jedoch allesamt über den warmen
tropischen und subtropischen Gewässern abspielen. Bei BARRY begann
jedoch alles über den weiten Landmassen der nordamerikanischen Great
Plains und somit weit abseits des warmen Wassers.

In der beigefügten Grafik ist im ersten Bild links oben ein
umfangreicher Gewittercluster über Kansas und Missouri zu erkennen.
In diesem langlebigen Cluster wurde durch die rege Gewitteraktivität
viel latente Wärme (siehe Link zum DWD-Lexikon) in der mittleren
Troposphäre freigesetzt. Die latente Wärme, ein nicht so greifbarer
Begriff, kann man sich bildlich so vorstellen: Die Sonne lässt im
Tagesverlauf durch ihren Energieinput (Wärmezufuhr) Wasser verdunsten
und aufsteigen. Mit der Höhe nimmt die Temperatur ab und der
Wasserdampf beginnt zu kleinen (Wolken-)Tröpfchen zu kondensieren,
wobei die gespeicherte Energie wieder freigesetzt wird (=latente
Wärme). Beim Blick auf das Satellitenbild kann man sich vorstellen,
dass hier innerhalb des Gewitterclusters gewaltige Energiemengen
freigesetzt wurden, die sich nun in der mittleren Troposphäre
sammelten. Da warme Luft leichter ist als kalte, beginnt der
Luftdruck in der Höhe zu fallen und es entwickelt sich ein
sogenannter "mesoskalig konvektiver Wirbel", im Englischen "Mesoscale
convective vortex, (MCV)". Dieser, besonders in der Höhe (mittlere
Troposphäre) kräftig ausgebildete Wirbel, driftet in der Folge mit
den Höhenwinden dahin, wobei solche Systeme über Tage hinweg
überleben und dabei immer wieder neue Gewitter auslösen können.

Ein kräftiges Hochdruckgebiet über dem Westen der USA lenkte das
System in der Folge Richtung Tennessee (a). In b) ist der Wirbel
bereits über dem Bundesstaat Georgia zu finden. Zu diesem Zeitpunkt
lässt sich etwas Interessantes im Satellitenbild erkennen: Auch die
weniger hochreichenden Wolkenfelder konnten sich zu einem Wirbel
organisieren. Dies ist ein Anzeichen, dass sich die Rotation aus der
Höhe teils auch bis in tiefe Lagen durchsetzt, was auf ein sich
verstärkendes System hindeutet.

Allerdings nahm der Wirbel erst so richtig Fahrt auf, als er über das
durchschnittlich 1 bis 2 Grad zu warme Wasser des Golfs von Mexiko
zog, wo sich erneut heftige und langlebige Gewitter ausbilden
konnten, die sich letztendlich zum Tropensturm BARRY organisierten
und der schließlich in Louisiana an Land ging.

Wie in diesem Fall ersichtlich läuft die Entwicklung von
Tropenstürmen teils sehr komplex ab. Ohne feinmaschige Wettermodelle
und hochaufgelöste (zeitlich wie räumlich) Wettersatelliten ist manch
einer dieser Stürme früher wie aus dem Nichts entstanden und
überraschte die Menschen entlang der Küsten häufig mit verheerenden
Folgen.


Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.07.2019

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