Thema des Tages

15-07-2019 12:20

Über Nacht zum Star: Der Funtensee

Wie ein kleiner, verträumter, deutscher Alpensee über Nacht
Geschichte schrieb.

Bei der Suche nach einem passenden Urlaubsziel stellt sich häufig
direkt zu Beginn die Frage: Meer oder Berge? Bei Letzteren stehen die
Alpen natürlich hoch im Kurs, vielleicht ja sogar das Berchtesgadener
Land? Allein beim Gedanken an dieses traumhafte Fleckchen Erde werden
vielen unweigerlich Begriffe wie "Watzmann" und "Königssee" durch den
Kopf schwirren. Der Funtensee gesellt sich dabei aber vermutlich nur
bei den wenigsten dazu. Nicht, weil es sich nicht lohnen würde, ihm
einen Besuch abzustatten, sondern eher aufgrund seines mangelnden
Bekanntheitsgrades.

Klären wir zunächst einmal etwaige geografische Fragen: Der Funtensee
befindet sich, wie bereits erwähnt, im Berchtesgadener Land, also im
äußersten Südosten Bayerns. Genauer gesagt, liegt er ganz im Süden
des Nationalparks Berchtesgaden in den Berchtesgadener Alpen, auf
einer Höhe von 1601 m über Meeresniveau am Rande des Steinernen
Meeres.

Soweit so gut! Aber was ist denn das Besondere an diesem Gewässer?
Vielleicht die Größe? 270 m lang, 130 m breit - von der Oberfläche
her damit gut 150-mal kleiner als der benachbarte Königssee. Mehr als
ein müdes "Aha" dürfte das kaum jemandem entlocken. Auch seine Tiefe
von bis zu 5,5 m wird wohl nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich
ziehen. Nein, das Erwähnenswerte hat (an dieser Stelle wenig
überraschend) einen meteorologischen Hintergrund. Am 24.12.2001
wurden nämlich am Funtensee von der Station eines privaten
Wetterdienstes -45,9 Grad gemessen - die tiefste, jemals an einer
Messstation in Deutschland registrierte Temperatur. An der
gegenüberliegenden Seeseite befindlichen DWD-Messstation wurden in
dicken Anführungszeichen "nur" -44 Grad verzeichnet. Den
Temperaturverlauf an der Station des DWD finden Sie über den unten
angehängten Link.

Aufgrund der außerordentlichen Lage des Sees findet sich dieser
Extremwert allerdings in keiner offiziellen Auflistung wieder. Den
deutschlandweiten Temperaturrekord in Sachen Minimum hat somit bis
heute die Station Wolznach-Hüll/Ilm in Niederbayern mit -37,8 Grad
inne, gemessen am 12.02.1929.

Verantwortlich für die extreme Kälte ist die außergewöhnliche Lage
des Sees. Um ihn herum ragen Berge von zum Teil über 2000 m über
Meeresniveau in die Höhe, die ihn praktisch einkesseln. Nachts kühlt
die über diesen Bergen befindliche Luft stärker ab als die über der
Funtensee-Ebene. Da kalte Luft eine höhere Dichte als vergleichsweise
warme Luft hat und damit schwerer ist, sinkt sie in der Folge die
Berge hinab in den Talkessel und sammelt sich dort. Doch das alleine
reicht noch nicht für derart niedrige Temperaturwerte. Wolkenloser
Himmel sowie nur geringe Windgeschwindigkeiten sind nötig, damit der
Boden ungehindert Wärme in Form von langwelliger Strahlung in den
Weltraum abgeben und die bodennahe Luft sehr stark abkühlen kann.
Liegt dann, wie auf dem im Winter stets gefrorenen Funtensee üblich,
noch zusätzlich eine Schneedecke, ist die bodennahe Abkühlung der
Luft noch stärker. Zusammenfassend kann man also in einer windstillen
und sternklaren Winternacht am Funtensee davon ausgehen, dass es
seeehr kalt werden wird.

Ein weiteres Charakteristikum des Funtensees bzw. dessen Umgebung ist
die doppelte Baumgrenze. Neben der "normalen" oberen Baumgrenze,
oberhalb der die klimatischen Verhältnisse ein Wachsen von Bäumen
nicht mehr zulassen, existiert am Funtensee auch eine untere
Baumgrenze, die bis etwa 60 Meter über Funtensee-Niveau hinabreicht.
Auf der Hand liegt natürlich, den niedrigen Temperaturen am See die
Schuld für den fehlenden Baumbewuchs in die Schuhe zu schieben.
Tatsächlich ist aber wohl nicht die Kälte, sondern einfach die bis in
die 1960er Jahre dominierende Almbewirtschaftung dafür
verantwortlich.

Wie dem auch sei: Beim sommerlichen Aufstieg in dieses malerische
"Kälteloch" friert man garantiert nicht - der Autor spricht aus
Erfahrung...


Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.07.2019

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