Thema des Tages

26-05-2019 08:20

Numerische Wettervorhersage - Ensemblevorhersagen zur Abschätzung der
Vorhersageunsicherheit

Auch die besten Wettervorhersagemodelle können das Wetter nur bis zu
einer gewissen Zeit in die Zukunft präzise vorhersagen. Im heutigen
Thema des Tages wird erklärt, wie man die (Un-)sicherheit einer
Wettervorhersage abschätzen kann.

Heutzutage berechnen komplexe Computerprogramme (sogenannte
"numerische Wettervorhersagemodelle") die physikalischen Prozesse in
der Atmosphäre. Als Ergebnis erhält der Meteorologe Informationen
über die zeitliche und räumliche Entwicklung der atmosphärischen
Größen wie Temperatur, Luftdruck, Wind oder Niederschlag, die er
schließlich zu einer Wettervorhersage kombiniert. Allerdings wird mit
fortschreitender Vorhersagedauer jede Wetterprognose immer ungenauer
und hat irgendwann nichts mehr mit der tatsächlich eintreffenden
Wetterlage zu tun.


Für den Vorhersage-Meteorologen ist es von besonderem Interesse, zu
wissen, wie weit in die Zukunft die Vorhersage noch "brauchbar" ist.
Eine immer gültige Faustregel hierfür gibt es nämlich nicht. Während
bei beständigen Wetterlagen eine zutreffende Prognose manchmal bis
über eine Woche hinaus möglich ist, kann in anderen Fällen die
Vorhersage schon nach wenigen Tagen stark von der tatsächlich
eintreffenden Wetterlage abweichen. Interessiert man sich sogar für
relativ kleinräumige Wetterphänomene (z.B. Gewitter), dann können
unter Umständen schon für den Folgetag erhebliche Unsicherheiten
entstehen.


Doch wie weit in die Zukunft ist eine Wetterprognose nun zuverlässig?
Stünde dem Meteorologen nur eine einzige Modellberechnung zur
Verfügung, könnte er diese Frage nicht beantworten. Sie beschreibt
lediglich EINE mögliche Entwicklung des zukünftigen Wetters. Da die
Modelle aber alle paar Stunden neu gestartet werden, kann man die
neueste Vorhersage mit der vorherigen vergleichen. Ab einer gewissen
Vorhersagezeit werden sich die Ergebnisse unterscheiden, sodass
spätestens ab diesem Zeitpunkt die Vorhersage offensichtlich unsicher
wird. Da die Wetterdienste verschiedener Nationen unterschiedliche
Modelle entwickelt haben, besteht zudem die Möglichkeit, die
Vorhersagen der verfügbaren Modelle zu vergleichen. Zeigen sie ab
einem bestimmten Tag abweichende Wetterlagen, so wird die Vorhersage
für die darauffolgenden Tage unsicher.


Die heutigen Hochleistungsrechner ermöglichen es außerdem, mit dem
gleichen Modell zur selben Zeit nicht nur eine, sondern mehrere
Vorhersagen zu erstellen. Dabei macht man sich die Ungenauigkeiten
des Modells selbst zu Nutze. Schon der Anfangszustand der Atmosphäre
als Beginn einer jeden Vorhersage kann niemals exakt bestimmt werden,
da uns keine lückenlosen dreidimensionalen Wetterinformationen
vorliegen und kein Messgerät absolut exakt misst (s. Thema des Tages
vom 17. März.). Bereits kleinste Abweichungen vom tatsächlichen
Wetterzustand führen aber früher oder später zu deutlichen
Unterschieden in den Modellergebnissen. Verändert man mittels
statistischer Methoden den Anfangszustand geringfügig und nimmt diese
leicht unterschiedlichen Ergebnisse als Startpunkt für die einzelnen
Modellvorhersagen, wird sich dies auf den Verlauf der berechneten
Vorhersage auswirken. So erzeugt der Deutsche Wetterdienst mit seinem
Modell "ICON" zum selben Zeitpunkt 40 unterschiedliche
Modellvorhersagen. Anfangs werden die Prognosen der einzelnen
Modelläufe noch relativ ähnlich aussehen, weiter in der Zukunft
unterscheiden sie sich aber zusehends.


Andere nationale Wetterdienste verfahren mit ihren Modellen ähnlich.
Die beigefügte Grafik zeigt zwei Beispiele des Ensembles des
amerikanischen Modells "GFS". Dargestellt ist der Verlauf der
Temperatur in etwa 1500 m Höhe als eine für den Meteorologen wichtige
Schlüsselgröße. Im ersten Beispiel unterscheiden sich die
Temperaturen bis zum sechsten Folgetag (22. April) nur geringfügig
voneinander, danach gehen die einzelnen Kurven schlagartig
unterschiedliche Wege. Ab diesem Zeitpunkt wird die Vorhersage also
unsicher. Im zweiten Beispiel werden die Weichen für die zukünftige
Wetterentwicklung offensichtlich schon nach weniger als zwei
Vorhersagetagen gestellt (9. März). Somit war damals eine
zuverlässige Wettervorhersage für mehrere Tage kaum möglich. Bei
genauerer Betrachtung kann man zudem die einzelnen Kurven in Gruppen
einteilen, die einen ähnlichen Weg einschlagen und danach beurteilen,
welche der möglichen Temperaturverläufe am wahrscheinlichsten ist.
Somit kann man beispielsweise abschätzen, wie wahrscheinlich es ist,
dass uns in den nächsten Tagen eine Hitzewelle oder ein Kälterückfall
droht. Eine Garantie ist das aber nicht, manchmal setzt sich auch
eine "Außenseiterlösung" durch. Eine detailliertere Erläuterung zur
Bedeutung der einzelnen Kurven finden Sie übrigens im Thema des Tages
vom 21.03.2018.


Die Ensembleprognosen liefern unserem Mittelfrist-Meteorologen, der
sich mit dem Wetter der kommenden vier bis zehn Tage befasst, sehr
hilfreiche Informationen, um die Unsicherheit der Wettervorhersage
für diesen Zeitraum abzuschätzen. Neben der 10-Tage-Vorhersage
verfasst er täglich einen ausführlichen Bericht (Synoptische
Übersicht Mittelfrist), in dem die Vorhersagen der unterschiedlichen
Wettermodelle und die Ensembles analysiert werden. Der interessierte
Hobbymeteorologe darf gerne einmal einen Blick in diesen Bericht
werfen (s. unten angefügter Link).


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 26.05.2019

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