DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

09-07-2023 17:01
SXEU31 DWAV 091800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 09.07.2023 um 18 UTC


SCHLAGZEILE:
Bis in die Nacht hinein im Nordwesten und Norden teils kräftige Gewitter mit
allmähliche abnehmender Unwettergefahr. Sonst nur einzelne Gewitter.
Am Montag vor allem im Osten und Süden Gewitter, meist markant.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 06 UTC
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Aktuell ... hat sich im Westen und Nordwesten wie erwartet eine veritable
Schwergewitterlage eingestellt, auch wenn diese beim Parameter "Sturm" bisher
hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist (keine bestätigten 10er oder mehr).
Von Benelux her hat am Nachmittag ein größeres Gewittersystem übergegriffen, das
man durchaus als MCS bezeichnen kann. Bereits im Vorfeld haben sich am frühen
Nachmittag im Raum Aachen ein paar unappetitliche Zellen entwickelt, die schnell
zu einem kleinen, nordöstlich ziehenden Multizellencluster verschmolzen sind und
dabei recht hagellastig agiert haben. Das gesamte System korreliert mit einer
Tiefdruckrinne, die das langsam ostwärts wandernde Hoch EVI vom steuernden Tief
QUENTIN westlich Irlands trennt. Die Rinne verlagert sich in den nächsten
Stunden nebst Gewitter ost-nordostwärts, wo sie unmittelbar der Achse des
gemächlich ostwärts abwandernden Höhenrückens folgt. Tendenziell ist von einer
Abschwächung der konvektiven Aktivität auszugehen (was aktuell bestätigt wird),
die im südlichen Teil des Systems stärker ausfällt als im Norden.

Den westlichen Abschluss der Rinne bildet eine nach Südwesten zurückhängende
Kaltfront, die sich in der Nacht langsam in den Westen und Nordwesten
reinmogelt. Obwohl sie von Druckanstieg überlaufen wird, entwickelt sie im
Verbund mit der leicht flatternden, tendenziell zyklonal konturierten
südwestlichen Höhenströmung eine gewisse Wirkung, die sich in Form einiger
präfrontaler Schauer und vereinzelter Gewitter widerspiegelt. Der Schwerpunkt
soll dabei im Südwesten liegen, auch wenn die Modelle noch etwas divergieren.
Die Frage ist, wie viel Energie und Labilität wird der Luftmasse durch eine
mögliche Outflow-Boundary des vorherigen, an die Rinne gekoppelten
Gewittersystems entzogen. Schlussendlich - und das ist bei vergleichbaren Lagen
keine neue Weisheit - läuft alles auf nächtliches Nowcasting hin. Man kann sich
entspanntere Nachtdienste vorstellen...

Montag ... kommt über dem nahen Atlantik eine Austrogung in Gang, auf deren
Vorderseite WLA generiert wird. Folgerichtig steigt das Potenzial, wodurch der
Höhenrücken regeneriert und scheinbar retrograd wird. Zum Tagesende spannt er
sich breit, aber relativ flach über weite Teile Mitteleuropas auf. Dabei stützt
er den zuvor bis zu uns vorgestoßenen Azorenhochkeil, aus dem sich sogar eine
eigenständige Parzelle abspaltet. Vor dem Hintergrund solcher Rahmenbedingungen
hat es die o.e. Kaltfront auf ihrem Weg nach Südosten schwer zu bestehen. Gut
möglich, dass sie den Tag auf den DWD-Analysen nicht übersteht.

Obwohl die Druck- und Potenzialentwicklung einigermaßen klar ist, stehen beim
Wetter noch ein paar Fragezeichen auf der Karte. Die Gretchenfrage betrifft die
Qualität der Luftmasse, sprich, wie viel Energie, wieviel Labilität, wie viel
Wasserdampf ist noch vorhanden. Zwar kommt die Kaltfront gar nicht im Südosten
an, trotzdem geht die Temperatur überall zurück, weil der Wind im ganzen Land
auf westliche Richtungen dreht. Denkbar ist etwa folgender Ablauf.

Zunächst gilt es im Nordosten sowie in Teilen der Mitte die nächtlichen
Gewitterreste operativ "kaputtzuwarnen", was mit Hilfe der klassischen
vormittäglichen Depression (Tagesgangsenke) vielleicht nicht zu 100%, aber in
großen Teilen gelingen sollte. Die Unwettergefahr ist nicht mehr besonders hoch,
in der Regel fallen die Gewitter markant aus (Starkregen, Böen 7-8 Bft, kleiner
Hagel). Ob es dann zur konvektionsfreundlichen Tageszeit am Nachmittag im Osten
noch mal zu einer nachhaltigen Reanimation der Gewitterei reicht, ist fraglich.
Vieles deutet darauf hin, dass die Luft raus ist, wie man so schön sagt.
Insbesondere die Stabilisierung der Schichtung, aber auch die einsetzende
Abtrocknung dämpfen stark die CAPE-Generierung, die für konvektive Umlagerungen
nun mal zwingend benötigt wird. Kurz und gut, am ehesten sind am Nachmittag noch
zwischen Vorpommern und Erzgebirge einige "frische" Überentwicklungen denkbar,
die aber über den Status markant nicht mehr hinauskommen dürften.

Im Süden ziehen die Gewitter aus der Nacht von BaWü allmählich ostwärts in
Richtung Bayern, wo sie am Nachmittag noch mal die eine oder andere
Frischzellenkur verpasst bekommen. Da dort die Energiewerte der Luftmasse noch
etwas günstiger sind als im Osten (CAPE laut Theorie gebietsweise über 1000
J/kg), sind einige kräftigere Entwicklungen möglich, auch wenn die
Scherungswerte nicht überbordend gut ausgeprägt sind. In der Basis sollte die
warnende Zunft mit "markant" auskommen, was lokale Unwetter (am ehesten durch
etwas größeren Hagel, weniger durch Starkregen) nicht ausschließt.

Nach Westen und Nordwesten hin stabilisiert es in der einfließenden, deutlich
trockeneren subpolaren Meeresluft (T850 um 10°C), in der auch die 2m-Temperatur
ähnlich wie im gesamten norddeutschen Küstenraum auf angenehme Werte zwischen 21
(bei auflandigem Wind an der Nordsee) und 28°C (in NRW) gestutzt wird. Ansonsten
stehen zwar keine 35-38°C wie heute mehr auf dem Zettel (Waghäusel-Kirrlach in
BaWü heute satte 38°C). Z.T. schwüle 28 bis 33°C sind aber auch kein wirkliches
Vergnügen, zumindest für die meisten von uns.

In der Nacht zum Dienstag wandert der Rücken unter ganz leichter Amplifizierung
ostwärts, was uns zum wiederholten Male unter eine zunächst noch antizyklonal
konturierte südwestliche Höhenströmung bringt. Genau diese Kontur ist der Grund,
warum trotz von Südwesten einsickernder feuchter und potenziell instabiler
Subtropikluft auf dem konvektiven Sektor noch nicht allzu viel geht. Im
Gegenteil, es bleibt nach dem raschen Aus abendlicher Konvektionsreste trocken
und vielfach gering bewölkt oder klar bei 19 bis 12°C.



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Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 06 UTC

Dienstag ... Die Konsistenz des ICON für den übermorgigen Dienstag ist gut. So
deckt sich der Abendlauf von heute stark mit den jüngsten Vorgängerläufen,
signifikante Änderungen sind nicht gegeben. Die sich von der Nordsee nähernde
Kaltfront wird etwas defensiver simuliert als um 00 UTC, so dass es rund um die
Deutsche Bucht bis zum Abend noch trocken bleiben könnte. Derweil nimmt die
Gewitterneigung im Südwesten zu. Hauptthema ist aber die Hitze, die nach dem
Rückzug am Montag noch mal voll zuschlägt. So kommt die 30°C-Isotherme weit nach
Norddeutschland voran und im Süden werden einige "35- oder 36iger" aufblinken,
bevor die Kaltfront am Mittwoch erst mal richtig aufräumt.


Modellvergleich und -einschätzung
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Es sind die üblichen Unschärfen in Bezug auf die konvektiven Entwicklungen
(Raum, Zeit, Intensität), die beim Modellvergleich ins Auge fallen. Kein Wunder
angesichts der komplexen Wechselwirkungen, die ein großer Cluster wie der
aktuelle im Westen mit rückseitigem Cold-Pool und diversen Hot-Spots erzeugt.
Auch der morgige Verlauf wird nicht zu 100% übereinstimmend simuliert. Der o.e.
Werdegang ist eine Zusammenfassung aus verschiedenen Modelllösungen und
konzeptionellen Überlegungen. Am Ende kommt es - wie heute Nachmittag und Abend
auch - auf´s Nowcasting an.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann