Thema des Tages

06-12-2016 14:40

Industrieschnee

Manch einer wird nach dem morgendlichen Aufstehen und dem Blick nach
draußen in den vergangenen Tagen und auch am heutigen Dienstagmorgen
seinen Augen kaum getraut haben: Ist es doch tatsächlich weiß
geworden, und das ist kein Reif, der dort zu sehen ist, sondern
Schnee! Sogar rund um die Zentrale des Deutschen Wetterdienstes in
Offenbach konnte dieses Phänomen heute Morgen beobachtet werden.
Dabei haben die Meteorologen doch eigentlich niederschlagsfreies
Wetter vorhergesagt. Die Erklärung: Es handelt sich um sogenannten
"Industrieschnee".

Industrieschnee ist nicht, wie man vielleicht denken könnte, der
Schnee, der in Schneekanonen für die Pisten dieser Welt produziert
wird. Auch der Dekoschnee bzw. Kunstschnee, den man in der
Adventszeit nun vielerorts sehen kann, wird nicht als Industrieschnee
bezeichnet. Dennoch kann man Industrieschnee als eine Art künstlichen
Schnee ansehen, den es ohne Menschenhand nicht geben würde.

Industrieschnee fällt nur unter bestimmten Wetterbedingungen. So ist
eine winterlich geprägte und starke Hochdruckwetterlage von Nöten,
bei der sich durch absinkende Luft eine sogenannte Inversion (eine
Temperaturumkehr in der Höhe) bildet. Die Inversion wirkt wie ein
Deckel auf die unter ihr liegende Luftmasse. In dieser
austauscharmen, meist nicht mächtiger als einen Kilometer dicken
Schicht entstehen bei entsprechend hoher Luftfeuchtigkeit
gebietsweise Nebel und Hochnebel, die eine weitere Voraussetzung für
den Industrieschnee sind. Zudem sollte es windschwach sein und die
Temperatur unter 0 Grad liegen.

Sind diese Voraussetzungen nun erfüllt, ist zusätzlich noch ein
Feuchtigkeitseintrag in die Atmosphäre notwendig. An dieser Stelle
kommt der Mensch ins Spiel: Industrieanlagen oder Häuser mit
Schornsteinen sorgen durch Emissionen für zusätzlichen Wasserdampf
und für Aerosole (Kondensationskerne) in der untersten Luftschicht.
Diese zusätzliche Feuchtigkeit kann aber durch die Inversion nicht
nach oben ausweichen. Weil es außerdem windschwach ist, findet auch
keine Durchmischung der Luft statt. Stattdessen wird die Luft
irgendwann so feucht, dass die Feuchtigkeit kondensieren muss. Bei
Temperaturen unter 0 Grad bilden sich dann Schneekristalle.

Die Schneekristalle sind sehr fein, da sie in der untersten
Luftschicht (100 bis 200 m) entstehen und nicht genügend Zeit haben,
sich wie gewöhnliche Schneeflocken zu entwickeln. Sie fallen daher
als kleine Eisnadeln und nicht als hexagonale (sechseckförmige)
Schneekristalle zu Boden und sorgen für die dünne Schneedecke in
einem lokal eng begrenzten Bereich um die Industrieanlagen herum.
Manchmal reicht dieser Bereich nur wenige hundert Meter weit, dabei
können dort aber eng begrenzt durchaus bis zu 10 Zentimeter Neuschnee
zusammen kommen! Eine grüne oder weiße Landschaft ist somit oft eine
Frage von nur wenigen Metern.

Die Schneekristalle des Industrieschnees fallen außerdem nur langsam
zu Boden. Durch die Feinkörnigkeit glitzern sie bei entsprechenden
Lichtverhältnissen, wie sie beispielsweise häufig in Großstädten
anzutreffen sind. Aufgrund ihrer Größe haften die Eisnadeln besser an
Gegenständen und Objekten als normaler Schnee, sodass herrliche weiße
Landschaften entstehen können. Industrieschnee kann leicht mit Reif
verwechselt werden. Von der Konsistenz her ist er mit Pulverschnee
vergleichbar.

In den kommenden Tagen ist Industrieschnee insbesondere in den
mittleren und südlichen Landesteilen noch möglich, da die Inversion
und die Temperaturen dort weiterhin niedrig liegen. Im Norden dagegen
wird es schon milder, darüber hinaus lässt auch der Hochdruckeinfluss
dort nach. Bis zum Wochenende wird es dann überall wärmer, sodass die
"weißen Überraschungen" durch Industrieschnee wohl immer seltener
werden.

Dipl.-Met. Simon Trippler
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.12.2016

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